Sowohl Historiker als auch Volkswirte sind sich weitgehend einig, dass der Goldstandard nicht zu einer Stabilisierung der Preise und der Konjunktur beitrug.
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Die verbreitete Vorstellung, der Goldstandard führe zu einer besonderen „Stabilität“, muss vor dem geistigen Horizont der damaligen Zeit betrachtet werden. Arbeitslosigkeit wurde überhaupt erst Anfang des 20. Jahrhunderts als ökonomisches Problem wahrgenommen. In der viktorianischen Zeit war es international üblich, Arbeitslose als Faulenzer oder Vagabunden zu bezeichnen. Diese Wortwahl verrät, dass Arbeitslosigkeit als Persönlichkeitsschwäche wahrgenommen wurde und noch keine makroökonomischen Einflüsse hinter dem Ansteigen und Fallen der Zahl der Arbeitslosen erkannt wurden. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeitslosigkeit begann erst langsam in den 1880er Jahren.
Anfang des 20. Jahrhunderts wuchs der politische Einfluss der Arbeiter, Gewerkschaften wurden mächtiger und in vielen Ländern wurden Wahlrechtsbeschränkungen (
Dreiklassenwahlrecht,
Zensuswahlrecht) langsam abgebaut. In zeitlicher Koinzidenz setzte sich auch die Erkenntnis durch, dass hohe Zentralbankzinsen Investitionen abschrecken und somit das Wirtschaftswachstum abschwächen. Gleichwohl zwang der
Goldautomatismus die Politiker oftmals dazu, entgegen dieser Erkenntnis zu handeln.
[17]
Um 1917 herum wurden Wahlrechtsbeschränkungen zuungunsten der Mittel- und Unterschicht in den meisten Ländern weitgehend aufgehoben. Als Folge davon wurde die Angst der Arbeiter vor Arbeitslosigkeit ein bedeutsamer politischer Faktor. In der Folgezeit wurde auch von ökonomischen Pionieren der Zusammenhang zwischen
Geldmenge,
Kredit,
Wirtschaftswachstum und
Arbeitslosigkeit entdeckt. Allerdings setzten sich diese Erkenntnisse erst nach der Weltwirtschaftskrise im ökonomischen Mainstream durch (
Keynesianische Geldtheorie,
Monetarismus). Dies alles schwächte den bis dahin vorhandenen Konsens zugunsten des Goldstandards. Unter dem Goldstandard wurde die Volkswirtschaft von dem
prozyklisch wirkenden
Goldautomatismus gelenkt, eine autonome Geldpolitik war faktisch nicht möglich. Eine
Expansive Geldpolitik zur Stabilisierung der Geldmenge und Bekämpfung einer Rezession war nur möglich, wenn alle Länder des Goldstandards in gleichem Umfang eine expansive Geldpolitik verfolgten. Diese fatale Starrheit des Goldstandards konnte vor dem Ersten Weltkrieg durch internationale Kooperation gedämpft werden, nach dem Ersten Weltkrieg kam eine solche Kooperation nicht mehr zustande. In den 1920er Jahren zeigte sich, dass der Goldstandard tatsächlich kein Stabilitätsanker war, sondern eine große Gefahr für die finanzielle Stabilität und den wirtschaftlichen Wohlstand. Unter dem Goldstandard mussten die Regierungen zu Beginn der Weltwirtschaftskrise machtlos zusehen, wie die Geldmenge kontrahierte, Schuldenkrisen entstanden und das Bankensystem zum großen Schaden der Realwirtschaft zusammenbrach. Alle Staaten, die das Instrumentarium einer autonomen Geldpolitik nutzen wollten (z. B. Expansive Geldpolitik,
Kompetitive Abwertung), mussten den Goldstandard aufgeben.
[17] Nach fast einhelliger Ansicht besteht ein klarer zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang zwischen der weltweiten Abkehr vom Goldstandard und dem Beginn der wirtschaftlichen Erholung.
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Der Goldautomatismus wird heute als
Geldmengen-Preismechanismus bezeichnet und gilt auch heute noch als grundsätzlich funktionierender Zahlungsbilanzausgleichsmechanismus. Der Geldmengen-Preismechanismus verursacht allerdings beim Abbau von Zahlungsbilanzüberschüssen erhöhte Inflation und beim Abbau von Zahlungsbilanzdefiziten eine
Depression und erhöhte Arbeitslosigkeit.
[27]