Bruzla schrieb:
Eine wehrhafte Demokratie muss das abkönnen.
Eigentlich möchte ich dem gerne zustimmen. Das beste Mittel gegen Populismus, radikale Propaganda und menschenverachtende Hassbotschaften sollte Aufklärung sein und jegliche Beschränkung der Meinugsäußerungen wäre unnötig.
Aber so langsam bin ich mir da nicht mehr so sicher, so sehr es mich als ausgesprochen liberal eingestellter Person auch schmerzt das einzugestehen.
Es scheint mir so, als gäbe es immer und in jeder Gesellschaft eine ca. 20-30% ausmachende Gruppe, die extrem empfänglich ist, für menschenverachtende Propaganda und Aufwiegelei, und bei denen scheint auch Aufklärung nichts zu nutzen. Sie haben ein fest geprägtes, simples und radikales Weltbild und halten ihre eigenen Ansichten und die Meinungen von Gleichgesinnten für wichtiger, als die Realität. Egal ob offensichtlicher, erlogener Blödsinn, Hauptsache es passt in ihr vorgefertigtes Weltbild. Alles andere wird ignoriert oder abgetan.
Die sind deshalb für rationale Argumente in Gegendarstellungen (Fact-Checker usw.) völlig unzugänglich und es sind nicht nur besonders dumme oder ungebildete Leute.
Falls es in der Jugend dieser Menschen eine Gelegenheit gab, ihnen objektives, kritisches Denken, Realitätssinn und Werte wie Toleranz, Menschenrechte usw. beizubringen, dann wurde sie leider verpasst und jetzt ist es zu spät.
Gerade als wehrhafte Demokratie muss man einen Weg finden, diese radikalisierten, unbelehrbaren Menschen trotzdem irgendwie unter Kontrolle zu halten, damit sie uns nicht alle mit sich ins Verhängnis ziehen.
Dazu scheint leider auch das Unterdrücken von gezielten Lügen, radikaler Propaganda und Hassbotschaften zu gehören, auch wenn mir das extrem gegen den Strich geht. Man kann nicht tatenlos zusehen, wie immer mehr Benzin ins Feuer gekippt wird.
Ich sehe leider einfach keine andere Chance, obwohl ich sehr wohl die Gefahr sehe, dass solche ursprünglich gut gemeinte Zensur leicht missbraucht werden kann.
Perfekt wäre es, wenn man es schaffen würde, den kompletten kommenden Generationen von klein auf rationales, kritisches Denken und elementare gesellschaftliche Werte beizubringen. Versuchen muss man es, aber ich bin auch da skeptisch ob es wirkt, selbst wenn es nachhaltig versucht würde. Dieses Populismus-Phänomen ist alles andere als neu, auch wenn das Internet und die sozialen Netzwerke ("Echokammern") es zuletzt nochmal deutlich verschärft oder zumindest offensichtlicher gemacht zu haben scheinen.
Ich habe z.B. vor einigen Jahren ein altes Buch gelesen, das um Anfang des 20. Jahrhunderts in Großbritannien geschrieben wurde. Ich glaube es hieß "The five Panics". Es beschreibt, wie die Massenmedien (damals vor allem politische Zeitungen verschiedener Parteien und Gruppierungen) immer wieder mit gezielten, dreisten Lügen irrationale Paniken in der britischen Bevölkerung geschürt haben (Invasions-Panik, Zeppelin-Panik, Dreadnought-Panik usw.), die zu immer agressiverer, populistischer Politik, übersteigertem Nationalismus und Wettrüsten geführt haben.
(Der Autor des Buches wusste damals noch nicht, dass solche Massenhysterien und ihre politischen Folgen in Deutschland, GB und anderen Ländern Europas kurze Zeit später zum Ausbruch des 1. Weltkrieg beitragen würden. Er ärgerte sich vor allem über die Ressourcen, die für die ausufernde Rüstung verschwendet wurden.)