1000 Wege ins Gras zu beißen - #213: "In der Matrix"
Dimitri war verbittert. Er hatte Kunde erlangt von einem Haufen gewissenloser Computer-Nerds, die draußen im Großen Land die Zone als Computerspiel bis ins Detail nachgebaut hatten. Und Tausende von übergewichtigen, pickligen Gamern spielten Tag ein, Tag aus das Leben der Stalker nach ... vor dem Bildschirm, in der sicheren Umgebung ihrer gut geheizten Wohnungen, mit einem kalten Bier in der Hand und einer warmen Pizza auf dem Schoß, währen hier draußen echte, lebendige Stalker qualvoll ihr Leben ließen. Diese jämmerlichen Weicheier hatte keinen blassen Schimmer davon, was es bedeutete, jeden Morgen durchnässt, durchgefroren, hungrig und mit Schmerzen auf einer stinkenden, versifften Matratze aufzuwachen ... mit Ausnahme einiger Teenager vielleicht.
Dimitri war es unmöglich, sich vorzustellen, wie man vor einem Bildschirm auch nur im Ansatz nacherleben konnte, wie es sich anfühlt, wenn einem ein echter, gieriger Blutsauger am Arsch klebt, sich die Zähne eines Tushkanos mit höllischen Schmerzen in die Wade bohren oder eine Elektroanomalie jede einzelne Nervenfaser des Körpers in einen glühenden Draht verwandelt. Angeblich konnte das Spiel Hunger, Durst und Schlafbedürfnis simulieren ... als Statusanzeige. Das war zynisch! Diese Fußföhner hatten keine Ahnung davon, wie es sich in einer Hölle lebt, zwei Tage lang ohne Wasser, ohne Nahrung, ohne Schlaf, mit nur vier Schuss Munition, frierend auf einem Dachboden kauernd, weil im Stockwerk darunter ein halbes Dutzend Snorks lauert.
Die wichtigste Sache hatte die Spinner natürlich nicht ins Spiel eingebaut: kacken. Jeder muss "Häufie-Bäufie" machen. Jeder. Regelmäßig. Es gibt da diesen uralten Witz: "Wie sieht ein sibirisches Klos aus? Zwei lange Stöcke - einer zum festhalten, der andere, um die Wölfe abzuwehren." In der Zone lacht niemand darüber. Hier sind es Pseudohunde und Wildschweine, die einem ans Leder wollen, wenn man sich grad mal mit heruntergelassener Hose hingehockt hat. Dimitri hatte schon Dutzende toter Stalker gesehen, die mit der Hose um die Knöchel zerfleischt worden waren ... ein ganz und gar nicht heldenhafter Tod. Dieses Maß an Realität hatten die feinen Herren Game-Entwickler natürlich weggelassen, schließlich sollte sich ja jeder als unbezwingbarer, stolzer Held in der virtuellen Welt fühlen.
Gefühle und Gerüche sind untrennbar miteinander verbunden. Hatte irgendeiner dieser Tastenfreaks auch nur den Hauch einer Vorstellung davon, wie die Sümpfe im Frühjahr riechen? Der Geruch frischer Blumen? Vergiss es! Ohne Atemmaske ist es nicht auszuhalten, wenn das schmelzenden Eis all die halb verwesten Leichen und die Tonnen an Mutantenscheiße freigibt, die im Wasser vor sich hinmodern. Und wenn man durchs Wasser muss, klebt der Dreck an der Ausrüstung. Dreck den man gar nicht mehr abbekommt, dessen Gestank einen noch bis zum nächsten Frühling an den Klamotten haftet. Auch den infernalischen Gestank in Sidos Bunker konnte kein Computerspiel nur annähernd simulieren. Wieso wusch die Pottsau sich nie? Bei seinen guten Handelsbeziehungen musste er doch wenigsten einmal im Monat an ein Deo herankommen. ... Und dann war da noch Boris! Dimitri hatte noch keinen Stalker gesehen, der sich nicht die Seele aus dem Leib kotzte, sobald er in Boris' Dunstkreis geriet. Wie die kleinen Daddel-Hosenscheißer wohl damit fertig würden? Natürlich gar nicht. Spielt sich sicher etwas suboptimal, wenn die eigene Kotze die Tastatur verklebt.
Wie gern würde sich Dimitri einen dieser verzogenen Waschlappen schnappen, ihm eine Makarov samt 20 Schuss Munition in die Hand drücken und ihn durch die echte Zone jagen. Wenn er nicht schon auf den ersten Metern in eine Anomalie stolpert - hilflos und irritiert auf sein hier völlig sinnloses Smartphone starrend - würde ihn der nächste Mutant blitzschnell den verweichlichten Arsch aufreißen, während er noch planlos den Sicherungshebel an seiner Waffe sucht. Er hasste diese kleinen Vollidioten, die jeder Zeit den nächsten sicheren Safe reloaden konnten oder das Spiel pausieren, damit ihnen Mutti einen warmen Haferbrei servieren konnte. "Sicherer Safe"? Am Arsch! Hier draußen war man Mutantenfutter, wenn man auch nur den kleinsten Fehler machte. Keine Chance noch einmal von vorn anzufangen. Aus und vorbei! Für immer!
Dimitri öffnete seinen Stiefel und betrachtete die schmerzenden, eitrigen Wunden an seinem Fuß. "Immer die Füße trocken halten!" Gar nicht so leicht, wenn einem die Zone die Botten demoliert und der einzige Schuster der Zone von den Monolithern im Limansker Krankenhaus an die Tür genagelt wurde. Mit welcher Tastenkombination heilen die kleinen Game-Luschen wohl einen lebensbedrohlichen Wundbrand? Die Wut stieg wieder in ihm auf. ... In diesem Moment wurde ihm urplötzlich schwarz vor Augen und es erschien ein Schriftzug in großen roten Buchstaben vor seinem inneren Auge:
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