1000 Wege ins Gras zu beißen - #750: "Handy-Zapper"
Ja, "angefressen" war das passende Wort, Wasilij war angefressen. Seine Vergangenheit hatte ihn eingeholt. Er war in die Zone geflüchtet, um ihr zu entkommen. Doch sie hatte ihn eingeholt, klebte hartnäckig an seinen Hacken wie ein Stück Mutantenscheiße: Direkt vor ihm stand ein Stalker, der wie paralysiert auf sein Handy starrte ... in der Zone ... direkt vor ihm ... versperrte ihm den Weg ... den Weg hinab in den Untergrund. Eben noch flogen ihnen die Kugeln der Monolith-Spinner um die Ohren und jetzt bleibt der Typ mitten im Weg wie angewurzelt stehen, um seine letzten FotzApp-Nachrichten durchzusehen ... Entfesselte Wut stieg in ihm auf.
Schon vor Jahren war Wasilij aufgefallen, das Wassermoleküle klüger sind als Menschen, zumindest in Tunneln, U-Bahn-Ausgängen zum Beispiel. In Rohren befinden sich die langsamsten Moleküle immer am Rand, die schnellsten in der Mitte. So bleibt alles im Fluss und alle kommen voran. Menschen sind da anders, ihnen ist angewandte Strömungsphysik schnuppe. Hier sind es vor allem die Dummen, die Lahmen und die Fetten, die ausgerechnet mitten im Tunnel sogar noch ein Rennen gegen die Kontinentalverschiebung verlieren. Man könnte ja meinen, dass sie am stützenden Rand besser aufgehoben wären, dort wo ihnen Geländer an den Treppen Hilfe und Halt gewähren. Aber nein, ihr Abstand zur Wand ist immer genau so groß, dass man auch dort nicht an ihnen vorbeikommt. Als ob sie sagen würden. "Sehr mich an! Nehmt mich wahr! Ich bin scheiße und ich will, dass ihr einen Grund habt, mich zu hassen. Ihr könnt mich nicht ignorieren."
Mit dem Aufkommen der Schmierphone-Plage eskalierte die Sache. Junge Menschen, denen man ihre Rundumverblödung bisher gar nicht ansah, blieben plötzlich unvermittelt im Strom der Lemminge stehen, um sich den Touchy-Bunty-Apps auf ihren Hirnentkernungsmaschinen zu widmen. Analysierte man die Lage etwas genauer, kam man unweigerlich zu der Erkenntnis, dass das Kollektivbewusstsein mit der Noosphäre aufs falsche Pferd gesetzt hatte. Fakebug, Shitter, Finsterspam, Poogle und YouPup waren viel effektiver darin, die Gedankenwelt der Menschheit zu manipulieren. Bereits 4G war dem Hirnschmelzer Äonen voraus, technisch und ideologisch.
Als schließlich die ersten hoffnungslos idiotisieten Handyzombies sogar direkt am Ende eine Rolltreppe stehen blieben, war für Wasilij das Maß voll: Er kaufte sich einen elektrischen Viehtreiber. Von so einem Teil hatte er schon lange geträumt ... zugegeben, von einer Pumpgun auch, aber damals hatte er noch moralische Skrupel. Der Viehtreiber war für seine Zwecke ideal. Ein kurzer Stromstoß direkt auf die Wirbelsäule des fleischgewordenen Roadblocks und der Handyzombie fiel wie ein nasser Sack in sich zusammen, Männlein wie Weiblein. Man konnte einigermaßen bequem über sie hinübersteigen sich umdrehen und der kleinen Weltverblödungsmaschine eine zweiten, tödlich Stromstoß durch die Platine jagen. So hatten die Jammerlappen am Boden wenigstens einen plausiblen verlustbedingten Grund hemmungslos zu flennen. Leider waren die heimischen Ordnungshüter von der humorlos verkniffenen Sorte und Wasilij musste bei Zeiten das Weite suchen, in seinem Fall, die Weite der Zone.
Nun also stand wieder ein unbeweglicher Handydepp vor seine Nase. Wasilij griff nach seinem Viehtreiber, seinem Weltverbesserer. Der Teil war abgenutzt, verschlissen, aber immer noch wild entschlossen, jedem Nervensystem die Bekanntschaft mit einem biologischen Blackout zu gewähren. Über die Jahre hatte Wasilij seinen Angriff perfektioniert und in Null Komma Nix lag der Handyzombie am Boden. In der Zone, von allen Skrupeln befreit, zog Wasilij seine Pumpgun und versetzte dem Idioten noch einen finalen aufgesetzten Rosettenschuss. Das passende Ende für ein unverbesserliches Arschloch. Die Pfeife hätte sich beim Wunschgönner eh nur einen Flatrate bestellt.