Dr. MaRV schrieb:
Jegliche Diskussion über und die Einführung neuer Überwachungsgesetze ist dermaßen überflüssig, würden die Behörden nur die ihnen vorliegenden Informationen vernünftig verarbeiten.
Ich kann das Bedürfnis nach mehr Überwachung und Kontrolle vollkommen nachvollziehen. Viele Menschen haben einfach Angst vor so vielen Szenarien, seien diese nun real oder unwahrscheinlich - am Ende gewinnt halt doch die Paranoia. Das Problem ist leider, dass es der Gesellschaft selbst mehr schadet als nützt. Wirklich davon profitieren wird nur die Machtelite und die Staatsbehörden.
Hier mal paar Gedanken zum besseren Verständnis, warum mMn mehr Überwachung/Kontrolle für letztere besonders erstrebenswert ist:
Die Behörden möchten sich mehr absichern. Der Trugschluss der hier existiert ist, dass mehr Daten automatisch mehr solide Beweise liefern, sodass man besser und effektiver Resourcen einsetzen kann um Täter schon vor der Tat zu erwischen. Und da gibt es auch ganz rationale Einschätzungen warum das überhaupt von Interesse ist. Denn (kollateraler) Schaden entsteht bei einer Tat immer und wenn (unschuldige) Menschen sterben umso schlimmer - das alles kostet. Aus wirtschaftlicher Sicht wäre es also eigentlich sehr sinnvoll einen Staat ähnlich Minority Report zu haben: einfach Leute verhaften, bevor sie überhaupt eine Tat begehen und zwar schon direkt während der Planungsphase. Das nennt man auch "im Keim ersticken".
Wenn man es auf die Spitze treiben möchte, könnte man sogar ausrechnen, wie viel Geld ein Staat spart wenn bestimmte Leute von Geburt an im Knast sitzen. Überlegt doch mal: ein Kind das später zu einem Terrorist wird, wie viele Resourcen man da rein gesteckt hat in die Bildung dieses jungen Menschen usw. das hätte man ja einem anderem Kind eher geben können und sich diese "Fehlinvestition" gespart. So absurd es auch klingen mag, ganz neutral, frei von jeglicher Ethik, Moral und Emotion wäre es am effektivsten und profitabelsten, würde man zukünftige Täter einfach schon direkt einsperren - oder vllt sogar mittels DNA-Analyse direkt abtreiben.
Der Staat möchte aber nicht nur weniger Verbrecher sondern auch weniger Widerstand. Die Machtelite braucht hörige Konsumenten, jedoch nicht kritisch hinterfragende Menschen die ihr Gehirn dazu "missbrauchen" sich gegen Entscheidungen aufzulehnen die doch nur dem Wohle des Volkes dienen sollen. Das heißt, mehr Überwachung bietet definitiv mehr Optionen "falsches Gedankengut" schneller aufzuspüren und zu entschärfen. Was falsch und richtig ist wird dann diktiert. Noch gibt es eine Art gesellschaftlichen Konsens. Sowas kann sich aber auch ganz flott ändern. Da möchte ich nur mal an Hitler erinnern. Hätte der damals Internet gehabt, wäre es viel einfacher gewesen die Judenfrage zu lösen (sowie andere "Probleme" die es in Augen jener Führung zu lösen galt).
Auch hier kann man das gesamte Konzept weiter spinnen. Die Entfernung oder gar Verhinderung bestimmter Strömungen innerhalb eines Staates sorgt zwar für weniger Vielfalt und letzten Endes auch zu einer Beseitigung von Kritikern und Intellektuellen (welche eigentlich ganz wichtig sind für bestimmte Prozesse innerhalb einer Gesellschaft), ermöglicht dafür aber ein recht einfaches Regieren der willenlosen, blind konsumierenden Massen. Wirtschaftlich gesehen ist letzteres recht erstrebenswert, weil es die Positionen der Elite immer weiter stärkt, allen anderen aber grade so viel Grundlage gibt um sich nicht aufzulehnen.
Wer denkt, dass man hier Diktaturen anstrebt liegt mMn falsch - es geht darum die Konsumgesellschaft effektiver zu gestalten. Konsum kann nur dann reibungslos ablaufen und die Taschen der Konzerne weiter füllen, wenn die Leute keine Angst mehr haben müssen, wenn man sich nicht mehr gegenseitig umbringt und noch dazu alle in Frieden leben. Harsches Bestrafen, das "Ersticken im Keim", das effiziente Herrschen ist nur machbar mit kompletter Kontrolle über das Volk. Und das ist auch ohne Diktatur möglich - was auch erstrebenswert ist, denn Diktaturen neigen dazu irgendwann mal zu zerbrechen weil der innere Druck zu groß wird, trotz Repressalien. Was man hier will ist die totale Überwachung mit ein paar Freiheiten und Menschenrechten. Aus meiner Sicht ist das die ultimative Endphase des Kapitalismus: ein System das nur noch Gewinne generiert weil der moralische/ethische Widerstand der diese Profite schmälern würde gar nicht mehr existiert.
Unabhängig davon, ob man mehr Überwachung gut findet oder nicht, ich möchte abschließend eigentlich nur an Folgendes erinnern:
was richtig oder falsch ist, wer/was gut oder böse ist, etc. - das mag einem heute so erscheinen als wäre es relativ einfach diese Grenzen zu ziehen und entsprechend Menschen anhand ihrer Handlungen zu be/verurteilen.
Man sollte aber nie vergessen dass diese Kriterien für richtig/falsch, gut/böse letzten Endes ein fraglies Konstrukt sind und sich teilweise dramatisch ändern können, abhängig davon wer ganz oben sitzt und die nötige Macht und/oder das nötige Kapital hat diese Grenzen zu verschieben.
Und es wäre unglaublich naiv zu glauben, dass die Rechte die wir heute haben in Stein gemeißelt sind und es niemals passieren könnte, dass man uns aufeinmal zu Staatsfeinden macht - oder uns gar alle Rechte abspricht basierend auf irgendwelchen Ideologien. Vor 100 Jahren hätte sich kaum ein Jude vorstellen können, dass man Jahre später nicht nur verfolgt sondern auch vergast wird.
Wie schnell heute Menschen auf Hexenjagd gehen können mit Hilfe des Internets ist wohl jedem bewusst. Selbst wenn die Massenüberwachung wirklich nur für "gute" Zwecke eingesetzt werden sollte (und ich erinnere erneut daran, dass das nur eine Definition), so gibt es keinerlei Mechanismen die einen Missbrauch verhindern können - ganz zu schweigen den Soziopathen davon abhalten könnte, den nächsten Genozid anzustreben.
Wenn der normale Otto im Internet völlig ohne Grundlage hetzen kann und das dann zu schweren Konsequenzen der unschuldigen Gehetzten führt, dann kann das ein Überwachungsstaat erst recht. Und zwar mit Rechtsgrundlage und voller Wucht.