Bildung von EU Polizeikräften: Wenn die Aufstände kommen - 25.03.2015, WDR5
Die EU hat im vergangenen Jahrzehnt fast unbemerkt Kapazitäten zur Aufstandsbekämpfung aufgebaut. Ursprünglich gedacht, um in Drittländern stabilisierend zu wirken, scheinen sich die Aufgaben hin zu Einsätzen im Inneren zu verschieben. Mögliche Ziele: Demos, Streiks, Proteste.
Italien ist im Dienst. Seit 2005 befindet sich in der Armando Chinotto Kaserne in Vicenza das "Center of exellence for stability police units", auf Deutsch "Kompetenzzentrum für Stabilisierungspolizisten, abgekürzt: CoEspu. Carabinieri-General Paolo Nardone ist der Leiter der Ausbildungsstätte. "Die Idee für das Zentrum", erzählt er, "geht auf den G8-Gipfel in Sea Island in den Vereinigten Staaten zurück. Da sah man die Notwendigkeit, polizeiliche Einsatzkräfte für Peace Support Operations, Friedensunterstützungsmissionen, global aufzustocken. Man steckte sich das Ziel, 75.000 Peacekeeper auszubilden, von denen zehn Prozent, also 7.500, robuste Polizeikräfte sein sollten, wie das Gendarmerien sind. Diese Aufgabe hat Italien übernommen, und Italien hat sie den Carabinieri anvertraut, die wiederum diese Kaserne als den dazu am besten geeigneten Standort ausgemacht hat."
"Zur Kontrolle von Demonstrationen"
Die Carabinieri sind die italienische Gendarmerie, deren Panzer im Juli 2001 in Genua während des G8-Gipfels zur "Kontrolle der Demonstrationen" zum Einsatz kamen. Am 20. Juli tötete dort ein Carabiniere den 20-jährigen Demonstranten Carlo Giuliani durch einen Kopfschuss. Im Blick auf die Gendarmerie erläutert der Politikwissenschaftler Christian Kreuder-Sonnen: "Als übergeordneter Begriff bezeichnet sie Polizeieinheiten mit paramilitärischen Fähigkeiten, hat eine hybride Struktur zwischen Polizei und Militär, so dass diese Einheiten sowohl militärische als auch polizeiliche Fähigkeiten vereinen und sie flexibel gewichten können. Das heißt: Sie haben auf der einen Seiten robuste Selbstverteidigungsfähigkeiten, sie sind darüber hinaus in der Lage, sich flexibel zu bewegen auch in einer Konfliktregion, weil sie auf gepanzerte Fahrzeuge, bewaffnete Fahrzeuge zurückgreifen können." Eine Spezialität dieser Einheiten sei es, so Kreuder-Sonnen weiter, "dass sie besonders geschult sind im Umgang mit gewaltsamen Aufständen."
Stabilisierungspolizisten
Auf der Homepage des CoEspu kann man die Fähigkeiten zur Aufstandsbekämpfung als Ausbildungsziele des Kompetenzzentrums studieren. "Stabilisierungspolizisten" müssten in der Lage sein, heißt es dort, Störungen der öffentlichen Ordnung zu bewältigen, sensible Infrastruktur zu überwachen, Prominente zu eskortieren, Terrorismus und Aufstände zu bekämpfen, Barrikaden zu entfernen und lokale Polizisten in der Technik der Aufstandsbekämpfung auszubilden.
Seit 2009 leitet das CoEspu im Auftrag der EU ein umfangreiches Trainingsprogramm für Polizeikräfte. Bei diesem "European Union Police Services Training" müssen Polizisten und Gendarmen aus mehreren EU-Ländern gemeinsam trainieren und sogenannte "best practices", also erfogreiche Methoden, entwickeln. Die dritte Trainingssession erfolgte 2010 unter der Ägide der deutschen Bundespolizei in einer Bundeswehr-Kaserne in Lehnin bei Potsdam.
Besuch beim Polizeitraining
Eine parlamentarische Delegation besuchte das Training. Matthias Monroy, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Linke-Abgeordneten Andrej Hunko, gehörte dazu: "Dort wurden Missionslagen geübt, nach einem Bürgerkrieg, der militärisch befriedet wurde", berichtet er. "Es wurde angenommen, dass die Militärs die Lage in Ordnung gebracht haben, danach muss die öffentliche Ordnung gesichert werden. Und in diesem Szenario agierten dann die Polizeien und Gendarmerien zusammen."
"Geübt wurden beispielsweise Demonstrationen der Bevölkerung, Flüchtlingstrecks, die angegriffen werden, aber auch hoher Staatsbesuch", so der Linke-Mitarbeiter weiter. "Was auch geübt wurde, sind Situationen wie große Sportereignisse. Jetzt muss man sich überlegen: In einem Post-Bürgerkrieg-Szenario wird kaum ein großes Sportereignis wie eine Fußballmeisterschaft oder eine Olympiade stattfinden. Das heißt, es zeigt sich eigentlich ganz gut, dass diese Übungen dafür da sind, größere Demonstrationslagen in den Griff zu bekommen bis hin zu Aufständen in Krisenregionen oder Kriegsgebieten."
European Gendarmerie Force
In der Armando-Chinotto-Kaserne, in der das CoESPU seinen Sitz hat, befindet sich auch das Hauptquartier der "European Gendarmerie Force", abgekürzt: Eurogendfor – die europäische "Stabilisierungspolizei" par excellence. Das Hauptquartier ist aber nur eine Art Planungs- und Leitungsbüro, denn Eurogendfor ist kein feststehendes, kaserniertes Korps. Die Truppe wird im Einsatzfall von den Ländern, die sich am Netzwerk beteiligen, mit Beamten der eigenen Gendarmerie zusammengestellt. Da nicht alle EU-Länder über eine Gendarmerie verfügen und einige europäische Verfassungen die Bildung paramilitärischer Einheiten verbieten, beteiligen sich nur Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, die Niederlanden und Rumänien an Eurogendfor - die aber dazu gedacht ist, Missionen im Auftrag der EU durchzuführen.
Offiziell war die Europäische Gendarmerie bislang nur dreimal in Einsatz: in Bosnien-Herzegovina, in Afghanistan und 2010 in Haiti. Ihr hauptsächlicher Auftrag sei es, lokale Polizeikräfte auszubilden, sagt Oberleutnant Sisinni, Liaison Officer der Truppe. Er sagt außerdem: "Es gibt auch andere Szenarien, aber man wird sehen, ob und wann Eurogendfor in solchen Szenarien eingesetzt werde. Es kann sich zum Beispiel darum handeln, in einem destabilisierten Land die öffentliche Ordnung wiederherzustellen."
In Artikel 4 des Gründungsvertrages heißt es zu den Einsatzaufgaben: “Schutz der Bevölkerung und des Eigentums und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung beim Auftreten öffentlicher Unruhen”. Die Soldaten dieser paramilitärischen EU-Truppe müssen sich zwar zunächst beim Einsatz an das geltende Recht des Staates halten, in dem sie eingesetzt und stationiert werden, aber: Alle Gebäude und Gelände, die von Truppen in Beschlag genommen werden, sind immun und selbst für Behörden des Staates, in dem die Truppe tätig wird, nicht zugänglich. Der Moloch EU setzt damit nationales Recht auch bei der Aufstandsbekämpfung außer Kraft.
EUROGENDFOR ist eine schnell einzusetzende paramilitärische und geheimdiestliche Polizeitruppe. Sie vereinigt alle militärischen, polizeilichen und nachrichtendienstlichen Befugnisse und Mittel, die sie nach einem Mandat eines ministeriellen Krisenstabs an jedem Ort zur Bekämpfung von Unruhen, Aufständen und politischen Grossdemonstrationen im Verbund mit nationalen Polizei- und Armeeverbänden ausüben darf. Das Bundesverteidigungsministerium bejubelt die EUROGENDFOR auf seinen Internetseiten mit den Worten: “Polizei oder Militär: Eine europäische Gendarmerie verspricht die Lösung.”