Colonel Decker schrieb:
Mich interessiert, inwiefern ihr den modernen westlichen Feminismus für sinnvoll und notwendig haltet - oder eben auch nicht.
Eine Frage, die gleichermaßen interessant wie verwirrend ist. Denn wenn ich mir Deine Erläuterungen so ansehe, fragst Du nicht nach dem modernen westlichen Feminismus, sondern nach den Ausprägungen verschiedenster Wellen und Strömungen aus dem Feminismus vieler Jahrzehnte.
Schaue ich mir an, wofür z.B. Alice Schwarzer gekämpft hat und vergleiche das mit den Horden super spießiger Teenager, die Woche für Woche dem Tussi-Konsum mit Handtäschchen und Schühchen fröhnen, dann kommt mir das schon seltsam vor. Andererseits geht es im modernen Feminismus um mehr, als nur das Recht, als Frau keinen Klischees entsprechen zu müssen. Es geht z.B. auch darum, den Klischees entsprechen zu dürfen, also die Wahl bzw. die Freiheit zur eigenen Entscheidung zu haben.
Was die Gleichberechtigung betrifft, so muss man das wohl im gesellschaftlichen Kontext sehen. Selbst in der westlichen Welt sehe ich noch keine Gleichberechtigung von Mann und Frau - in vielen Dingen. Feminismus ist dann aber nicht immer gleichbedeutend mit dem Ruf nach staatlicher Regulation. Viele moderne feministische Bewegungen haben sich selbst organisiert, um das Ungleichgewicht z.B. in der Kunst- oder Musikszene durch eigenes Handeln zu beseitigen.
Colonel Decker schrieb:
Meiner Meinung nach hat der Feminismus seinen Zenit längst überschritten. Frauen haben rechtlich seit Jahrzehnten gleiche Möglichkeiten wie Männer
Feminismus ist eine Bewegung, die in mehreren Wellen stattfindet. Aktuell spricht man über die vierte Welle, in der es z.B. darum geht, dass es nicht "die Frauen", sondern verschiedenste Gruppen gibt, die alle ihre eigenen Probleme haben, die teilweise miteinander korrelieren:
https://www.psa.ac.uk/insight-plus/feminism-fourth-wave
Colonel Decker schrieb:
Nun weisen Feministen allerdings auf nach wie vor bestehende Unterschiede, z.B. in der Arbeitswelt, hin. ... bei dem Frauen gleich - gerne aber auch "on top" - auskommen sollen.
Das ist zu pauschal gedacht. Fakt ist, dass Politik wie Wirtschaft es sich mit der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in der Arbeitswelt echt schwer tun. Ich war schon in genügend Firmen, um sagen zu können, dass es definitiv noch heute in Führungskreisen den Männerzyklus gibt. Für Frauen ist es schwer bis unmöglich, in vielen Firmen bestimmte Ebenen überhaupt erreichen zu können. In Vorständen findet man Frauen daher, wenn überhaupt, vor allem in so "emotionalen" Rollen wie Compliance (wie aktuell bei Volkswagen) oder HR (wie bei Getrag). Der Rest ist klar in männlicher Hand. Hier kann eine Quote helfen, die Transition in der Gesellschaft zu unterstützen. Gleichwohl sehen auch Feministinnen die Probleme, die mit so einer Quote einher gehen. Deshalb ist nicht jede Feministin pauschal für eine Frauenquote.
Colonel Decker schrieb:
Die ganze Logik dahinter ist offenbar, dass es im Leben vor allem auf formelle Macht irgendwelcher Personengruppen ankäme. Mehr Männer in hohen beruflichen Positionen werden damit automatisch zum Problem für Frauen - obgleich z.B. der männliche Politiker ja auch von Frauen gewählt wurde.
Es geht um Chancengleichheit, nicht um Macht. Es ist einfach traurig, wenn man wie ich schon das ein oder andere Mal ganz klar gesehen hat, dass eine Frau für eine Beförderung sachlich gesehen die beste Wahl wäre, sie aufgrund ihres Geschlechts aber für den Posten nie und nimmer in Frage kommt. Und genau darum geht es auch in Deinem Beispiel mit den Politikern: wenn man sachlich an die Wahl herangeht, wird die beste Person, der beste Mensch für den Job gewählt. Unabhängig vom Geschlecht. Aber so weit sind wir leider noch immer nicht.
Colonel Decker schrieb:
Unter dem Strich betrachte ich den modernen Feminismus daher als etwas, da erfundene Probleme mit Hilfe der Staatsgewalt und völlig nutzlosen Maßregelungen zu bekämpfen versucht.
Die Staatsgewalt spielt in vielen Aspekten des modernen Feminismus gar keine Rolle. Und Feminismus erfindet keine Probleme, sondern weist auf geschlechterspezifische Unterschiede hin bzw. beschäftigt sich mit diesen. Als Problem würde ich die Themen daher nicht pauschal beschreiben, sondern als Ausprägungen einer feministischen Revolution, die nie beendet wurde und die sich meiner Meinung nach auch mit der Gesellschaft ändern muss, um relevant zu sein. Denn noch immer fehlt unabhängig von den Rahmenbedingungen die Gleichberechtigung in den Köpfen der Menschen. Ein schönes Beispiel dafür ist der Bechdel-Test:
http://diepresse.com/home/kultur/fi...t_Die-drei-Regeln-fur-frauenfreundliche-Filme
Und hier noch ein weiterführender Artikel dazu:
http://filmschoolrejects.com/features/10-famous-films-that-surprisingly-fail-the-bechdel-test.php
Colonel Decker schrieb:
In Zeiten, in denen man sich meiner Ansicht nach lieber mal um junge Männer Gedanken machen sollte. Denn perspektivenlose junge Männer haben kaum Aussicht auf Frau und eigene Familie. Die werden dann kriminell, ...
Man wird immer Dinge finden, die man aktuell als dringlicher ansehen kann. Das bedeutet aber nicht, dass man dann alles andere liegen lässt und sich nur noch um diese eine Sache kümmert. Die Gesellschaft ist komplex und daher muss man sich auch mit vielen Dingen beschäftigen, wenn man sich mit der Gesellschaft beschäftigen will. Ein Umstand, den unsere Politiker auch manchmal nicht verstehen (wollen). Dabei hängt vieles miteinander zusammen. Auch das Weltbild dieser jungen Männer und die Frauen, die in diesem vorkommen.