@Ilsan:
Warum pendeln die Leute denn überhaupt so weite Wege?
Nachfragebedingt ist Wohnraum an Standorten mit vielen Arbeitsplätzen vielen einfach zu teuer ... also wohnen die Leute aus kostengründen eher dort, wo es wenig Arbeit gibt, denn da sind die Mieten niedriger. Dafür gibts da dann eine schlechtere Infrastruktur (Schule/KiTa, Einkaufen, Ärzte), was bedeutet, dass die Leute auch für viele andere Alltagsbedürfnisse ein Auto brauchen.
Es ist durchaus fraglich, ob die Pendelei mit PKWs den Kostenvorteil durch günstige Miete nicht wegfräße ... wenn das Auto nicht so hoch subventioniert würde. Eventuell wäre man mit einer arbeitsnahen teuren Wohnung und ÖPNV oder Fahrrad billiger dabei, wenn die Autofahrer die Kosten ihrer Mobilität komplett selbst tragen müssten.
Unsere Gesellschaft leistet sich seit Jahrzehnten ein ziemliches Mobilitätsdiktat. ich würde sogar schon fast von einem Fetischcharakter der Individualmobilität sprechen.
Schaut man sich z.B. dieses Diagramm an:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/170975/umfrage/pkw-nutzung-nach-zweck/
Dann sieht man, dass der PKW nach Meinung der Besitzer zu über 90% "privat" genutzt wird und nur zu 10% geschäftlich (nebenbei ist es sehr interessant, dass man bei der Suche "Statistik" voranstellen muss, um nicht nur Steuertipps für Firmenwagen angezeigt zu bekommen).
Ich komme (mangels statista-acc.) nicht an genauere Infos zu den zugrundeliegenden Daten dran, aber ich möchte wetten, dass weit über 50% der "privaten" PKW-Nutzung eben arbeitsbedingte Fahrtwege sind, die werden nur in DE einfach nicht als Geschäftsfahrten betrachtet (von den Autobesitzern, die ja in der/den zugrundeliegenden Studie/n befragt wurden).
Und das ist ein Teil des Problems ... wie du zur Arbeit kommst, und wie weit du dafür fährst, welches Verkehrsmittel du nutzt und was das alles kostet, das ist in Deutschland komplett Privatangelegenheit.
Dem Arbeitgeber ist es komplett egal, ob du von Maintal nach Frankfurt fährst, oder von Stuttgart nach München.
Das, was du dadurch an steuerlichem Vorteil erreichen kannst (Entfernungspauschale) holt man sich beim Staat wieder (das kommt also von der Gesamtgesellschaft).
Der private PKW-Nutzer sieht allerdings nur, dass er eben pendeln MUSS, wenn er arbeiten will und nach Miete und sonstigen Kosten noch genug für ein anständiges Leben übrig bleiben soll. dabei profitiert der AG davon eigentlich viel mehr, denn der muss seine Löhne nicht an die ortsüblichen Mieten anpassen ... für den Arbeitgeber ist es billiger, wenn die Arbeitnehmer pendeln.
Das soll auch kein Vorwurf sein (ich weiß, dass einige das gerne so verstehen), sondern lediglich darauf hinweisen, dass man diese Verantwortung eben nicht allein den Privatpersonen überlassen sollte ... die können sich das genauso wenig aussuchen, wie kleine Unternehmen bei den Löhnen viel Spielraum haben.
Gemeinsam müssen wir zu einer lösung finden, die Miete, Löhne, Mobilitätsangebote und -forderungen insgesamt so gestaltet, dass man auch mal auf das Auto verzichten kann.
Ob die Leute das dann auch tun, ist ein anderes Kapitel ... es geht zunächst mal darum, dass es überhaupt wieder für mehr Menschen möglich, denkbar oder erträglich wird, die existierenden Alternativen zum Auto auch zu nutzen.
Bei 100km Arbeitsweg (beide Wege) ist das Auto auch nach umfassendem Ausbau der Öffis in ländlichen Gegenden noch attracktiver, weil flexibler und privat.
Natürlich möchte auch ich gerne auf einer Familienfeier bleiben, bis ich eben keine Lust mehr habe, müde bin ... ich will nicht um 0:30 auf die Uhr schauen müssen, um den letzten Bus in die Stadt noch zu erwischen, weil ich sonst gut 1h Fussmarsch vor mir habe. Klar ist auch ein einstündiger Fussmarsch kein Beinbruch ... aber 20 Minuten im geheizten ÖPNV ziehe ich dem schon vor.