schon mal was von dampfblaskoeffizient gehört?
Er wird immer wieder in populären Publikationen als das zentrale Negativmerkmal (dabei ist er natürlich nicht alleine reaktivitätsbestimmend, sondern nur eine Komponente; trotzdem sollten zu hohe Werte vermieden werden) herangezogen, dabei war er schon in Anlagenauslegungen vor 1986 nicht immer (stark) positiv. In diese Richtung entwickelte er sich (entgegen der Projektierung; bei NIKIET arbeiteten natürlich keine Idioten) erst mit zunehmendem Abbrand und sukzessivem Entfernen fixer Absorber (zur Kompensation von Überschussreaktivität) und konnte dann in ungünstigen Betriebszuständen voll wirksam werden. Mit frischem Erstbeladungskern war er schon damals negativ. Nach den erfolgten (teils lange vorher von NIKIET projektierten, aber bis zur Havarie nicht umgesetzten) Änderungen, ist eine Wiederholung der damaligen Vorgänge ausgeschlossen - und der vielbeschworene, positive Void-Effekt stets auf niedrigem Niveau. Entscheidende Details lagen in Bezug auf die Havarieentwicklung damals aber ohnehin eher an anderer Stelle.
Der in Tschernobyl eingesetzte Zweitgeneration-RBMK (mit deutlichen Verbesserungen u.a. in Bezug auf die Notkühlung und einem partiellen Sicherheitseinschluß der diesen Namen auch verdient) war im damaligen Betriebsregime (ungünstig hoher Abbrand ohne fixe Absorber, unterschrittene Reaktivitätsreserve, fortschreitende Xenon-Vergifung bei niedrigem Leistungsniveau, deutlich zu großer Kühlmitteldurchsatz (gemäß dem gerne dämonsierten, tatsächlich aber sehr glaubhaften, Djatlov aber nicht ursächlich), ungünstige Leistungsdichteverteilung und, als das zentrale Element, eine fatale Konstruktion des Steuerstabsystems), besonders kurz vor der Havarie, mit einem Void-Effekt von +5 Beta natürlich ein Pulverfaß, keine Frage. Hinzu kam eine teils ungenügende Instrumentierung und unzureichende Informationen über reaktorphysikalische Eigenschaften (z.B. das Verhalten bei niedriger ORM und Leistung) und Parameter, sowie weitere Designschwächen, die den Konstrukteuren bekannt, aber, wie gesagt, erst nach 86 behoben wurden. Das Experiment wirkte hier nur als Katalysator. Über kurz oder lang wäre es in einer anderen RBMK Anlage aus dem Regelbetrieb heraus zu einer vergleichbaren Situation gekommen. Kleinere Reaktivitätsstörfälle gab es ja auch wenige Jahre zuvor in Ignalina und St. Petersburg.
Entegegen der landläufigen Meinung (ich erwähne das, weil meist in Tateinheit mit dem Dampfblasenkoeffizienten zitiert) bewegte sich die Bedienmannschaft während des Experiments größtenteils innerhalb der damaligen Betriebsvorschriften, insbesondere bei dem geringen Leistungsniveau. Bis kurz vor der Explosion war für die Mannschaft im Kontrollraum der Ernst der Lage nicht erkennbar. Die Auslösung des Havarieschutzes, dem die Leistungsexkursion wenige Sekunden später folgte, geschah gemäß Versuchsprogramm und nicht aus Panik. Der "polternde" Djatlov ("Noch ein, zwei Minuten, und alles ist vorbei...") ist ein Mythos, der sich durch diverse Publikationen und einige unglückliche TV Dokumentationen zieht.
den mker typ als sicher zu bezeichnen is auch ne ulkige sache
Schon der RBMK hatte im Rahmen des damaligen Tests (Station Blackout + KM Verlust - schon damals ein DBA auch für diese Anlagen) grundsätzlich gute Sicherheitsmargen. Das geht auch aus aktuellen RELAP Simulationen hervor. Der MKER hat als Folgeentwicklung erhebliches Potential im Hinblick auf passive Sicherheit. Großes Sicherheitsplus ist dabei die geringe Leistungsdichte. Archillesverse bei bestehenden RBMKs ist die Druckabsicherung des ALS, die bei vorhanden Anlagen zwar erhöht wurde, aber nur das Versagen weniger technologischer Kanäle absichert. Zusätzlich ist die Kerninstrumentierung -überwachung nicht ideal, auch wenn sich inzwischen natürlich starke Verbesserungen zum damaligen Stand (u.a. langsamer SKALA Prozeßrechner) ergeben haben. Das ist eine Schwäche, die sich u.a. aus dem riesigen Kern mit der Vielzahl technologischer Kanäle ergibt (wer sich die Reaktorseite der Blockwarte eines RBMK ansieht, weiß, was ich meine) und inhomogene Zustände begünstigt.
edit:
Anbei mal der Zustand von Ignalina 1+2 Anfang der 90er Jahre, d.h. nach den Nachrüstungen, die sich aus der Havarie in Tschernobyl ergeben haben.
Der Voideffekt ist, wie angedeutet, stark reduziert und liegt in diesem Fall bei +0,7beta. Damit ist sein Beitrag selbst in ungünstigen Situationen so gering, dass eine Leistungsexkursion ausgeschlossen ist. Neben Maßnahmen, die auf die direkte Reduzierung des Void-Effekts abzielen, hat es natürlich weitere Verbesserungen gegeben, u.a. was das Steuerstabsystem betrifft. In jedem Betriebszustand, auch bei vollständigem KM-Verlust, ist eine Leistungsexkursion ausgeschlossen.
Der Leistungskoeffizient ist, wie man erkennen kann, negativ (beschreibt die Reaktivitätsänderung in Abhängigkeit von der Reaktorleistung). Das war vor den Nachrüstungen ganz anders: Voideffekt im Betriebszustand von Tschernobyl Block 4, wie oben bereits genannt, etwa +5beta. Der Leistungskoeffizient war zumindest im niedrigen Leistungsbereich positiv - obwohl die Sicherheitsbestimmungen von 1982 (nächste Revision 1988) das bereits damals untersagten. Eine instabile Situation.
Gruß
Denis