Ganzir schrieb:
Außerdem holzt du selbst mit diversen Begriffen nur so um dich herum, du redest von gesellschaftlicher Totalität, welche Gesellschaft meinst du denn dann? Die ganze Menschheit, die Menschen innerhalb eines Staates? Noch etwas drittes und was immer es auch ist, was zeichnet für dich eine Gesellschaft aus?
Ich bringe gesell. Totalität nicht ins Spiel, sondern habe angemerkt, daß das dem Thema dieses Threads notwendig immanent ist. Wer es mit der Anschauung von "Allgemeinen" und "Systemen" hält, vor allem mit deren "Kritik", der muss einen Begriff von gesell. Totalität haben, oder dazu schweigen. Warum, das führe ich unten, in der Erwiderung auf th3o aus. Die ist durchaus etwas länger (und noch immer viel zu kurz), weil sie, vielmehr als eine Erwiderung auf die etwas magere Antwort th30 zu sein, eine etwas zusammengeschrumpfte Wiedergabe meiner Leküre Lukacs' Spätwerk ist, die ich vor kurzem angefangen habe. Ihr dient also nur, das sei mir verziehen, als argumentative Pappaufsteller.
th3o schrieb:
"Wenn die Marxologen sagen: Der Wert hält den Laden zusammen, so ist das nicht so falsch, sagt aber nichts darüber aus, warum gerade Vernunft in einer post-kapitalistischen Gesellschaft dafür herzuhalten vermag."
Was denn eigentlich für eine post-kapitalistische Gesellschaft? Wo soll die sein?
Es sagt vielleicht deswegen nichts darüber aus, weil diese Frage uninteressant ist, um den über den Wert vermittelten gesellschaftlichen Zusammenhang zu verstehen. Das, was du ergründet haben willst, ist rein philosophischer Natur. Wens interessiert, bitte. Mich zumindest nicht und deswegen empfinde ich auch keine Verpflichtung dazu diese Frage zu beantworten, auch wenn sie dir wichtig scheint. Daher bringst du auch weiter oben die problematische Rede vom Unterschied zwischen Wesen und Erscheinung, und das auch noch "ontologisch", so als wenn im Sein, in der Materie selbst, logisch (seinslogisch) sich einerseits ein Wesen und andererseits eine Erscheinung finden würde. Das ist Hegelei im wahrsten Sinne des Wortes (auch ein Adorno fiel darauf rein). Mit materialistischer, vor allem marxscher (des reifen Marx zumindest) Gesellschaftskritik hat das nichts zu tun.
Vieles von dem was du ansprichst und vor allem Ganzir und natürlich Silberbrecher vorwirfst, ist erstmal ok. Dennoch geht dein Angriff auf 'die Marxologen' daneben, wobei man auch gern wüsste wer das genau sein soll. Ich nehme an ich? Bei Dug wäre ich nicht sicher und bei barista erst recht. Und was hat eigentlich Moral mit Verbindlichkeit (also Stringenz/Begriffsstrenge eines Arguments) zu tun? Kant war auch recht seltsam unterwegs. Universelle Philosophie wollte er treiben (also contradictio in adjecto). Mit Bürgerlichem (als Folie im Hintergrund) angereichertes Geschwätz ist häufig rausgekommen.
Ja, Adorno, Lukacs, Marx... alle fielen darauf herein. Gut daß nun die Strukturmarxisten kommen, um damit aufzuräumen. Hemdsärmlig soll nun endlich das marxsche Diktum aus der letzten Feuerbachthese Ernst genommen werden und Marx der Hegel ausgetrieben.
Die Vorwürfe, etwas sei "bürgerlich" oder nicht richtig "materialistisch" stanken schon immer nach Gesinnung, die nicht auf die eigenen, kategorialen Grundlagen reflektieren mag. Marx hat sich da übrigens sehr oft zu geäußert, was dabei herauskommt, wenn man das Kind mit dem Bade, die Bürgerlichkeit der Zivilisation austreiben will - z.B. gegen den sog. rohen Kommunismus (u.a. in den Pariser Manuskripten).
Das klingt nach einem Geschwätz aus Zeiten der zweiten Internationalen. Kautsky, ick hör dir Trapsen. Wenn der Marx erstmal vom Hegel und den Gespenstern der Ontologie und Metaphysik befreit wurde, dann können wir richtige Ökonomiekritik betreiben. Das ist ein sehr solipsistische Position (und damit viel mehr Sophisterei als das Rekurrieren auf Hegel), die schon gar nicht mehr mit der Wirklichkeit in Kontakt treten möchte. Der Vorwurf, etwas sei 'bürgerlich' oder nicht 'materialistisch' ist so hohl wie selbstgenügsam. Was, wenn der Kritiker das affimiert und sagt: Ja klar vertrete ich eine bürgerliche, anti-marxistische Position. Dann ist nichts gewonnen außer der je eigenen Vergewisserung, auf der richtigen Seite zu stehen. Dass etwas kritikabel ist, sollte sich aus der Begründung heraus verstehen (siehe das Vorwort zur vierten Auflage des Kapital) und nicht durch den Verweis auf die richtige Chiffre (Materialismus) oder ein vermeintlich stigmatisierendes Attribut (bürgerlich).
Was am Begriff der Ontologie "problematische Rede" sein soll, kannst nur du verstehen. Wem eine "Rede" problematisch werden kann, der sollte mit dem Vorwurf des bloßen Philosophierens nicht so um sich werfen. Es geht hier ja schließlich nicht um Geschwätz, sondern die Sache, die vermittels des Geschwätz zur Geltung kommen soll. D.h. nicht die Rede ist problematisch, sondern das in der Rede entaltene.
Es geht hier deswegen um eine Ontologie des gesellschaftlichen Seins, denn es geht hier um nicht weniger, als die Begründung einer Objektivität. Und wer Marx den Hegel austreiben will, beraubt ihn auch um die Objektivität seiner Argumente. Ich hebe deswegen so sehr darauf ab, da ich mich gerade ein wenig mit Lukacs Spätwerk beschäftige (der übrigens auch immer den stalinistischen Vorwurf bekam, doch mal die Hegelei zu lassen) und das durchaus nicht unfruchtbar ist, wenn man gerne den Kapitalismus auf den Schutthaufen der Geschichte befördern möchte. Das hat eine ganze Menge mit Ethik zu tun, denn es muss ja einen normativen Maßstab für die Kritik geben.
Ein Blick auf das heutige "Kritikverständnis" zeigt (wie oben schon mehrmals passiert), daß heute unter Kritik oftmals die Relativierung von Geltungsansprüchen verstanden wird. Als kritisch gilt die Position, die relative Maßstäbe als einzig legitime ausgibt und so Aussagen, die ein Allgemeines betreffen, den Anspruch auf Objektivität erheben und universale Geltung beanspruchen, als unkritisch verwirft. Das ging also gegen die
Common-Sense-Argumente von den positivistischen Vorrednern hier (Ganzir & Co). Also gegen Rorty&Rawls und den von ihnen vertretenen Pragmatismus und der diesen stützende, erkenntnistheoretische Relativismus. Sie reduzieren Objektivität auf Intersubjektivität (das müsste dir doch ziemlich stinken). Den Maßstab moralischen Handelns verortet dieser Ethnopluralismus allein in der
Ingroup (Ganzir: "Es gibt in jeder Gesellschaft nunmal nur eine Moral") der eigenen Kultur. Damit lässt sich schlecht Revolution machen, wenn Maßstab der Sittlichkeit kein universaler ist, sondern die jew. eigene Gesellschaft - und deswegen auch das Beharren auf einer universalen Moral. Und deswegen bedarf es auch einer genetischen Darstellung der Gesellschaft, der dieses Geschwätz als ideologisch denunzieren kann, also einen Begriff von Geschichte. Und da kommt dann die böse Ontologie ins Spiel.
Lukacs' Grundriss einer Anthropologie die allgemeinen Bestimmungen von Menschsein expliziert, die die Bedingungen jeder spezifischen Kultur als je spezifischer Erscheinungsweise des Menschseins bilden. Lukacs'
Sozialontologie reflektiert auf die Bedingungen der Möglichkeit von Geschichte und kann so leisten, was der Pragmatismus und andere (Kultur)Relativismen nicht vermögen: das für jeden Menschen gültige Faktum der eigenen biologischen und sozialen Reproduktion anhand des Begriffs der Arbeit zu explizieren und damit die Veränderbarkeit, Entwicklung und unterschiedliche Erscheinungsweisen menschlicher Praxis zu begreifen (was du ja hoffentlich auch willst, wozu liest du sonst Marx). Im Begriff der Arbeit wird das grundlegende Weltverhältnis des Menschen artikuliert, in dem die Möglichkeit zur (Selbst)Veränderung angelegt ist. Dadurch können Möglichkeiten von menschlicher Praxis und globalem menschlichen Zusammenleben, die über den Rahmen des Status quo bestehender Gesellschaften hinausweisen, ausgelotet und zur Diskussion gestellt werden.
Aber: Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins sollte zunächst die ontologische Grundlegung einer (hier kommt der Clou: marxistischen) Ethik sein. Um die ethische Tat zu begreifen, bedürfe es, wie Lukacs sich auf den bösen Hegel beziehend sagt, einer Kenntnis der allgemeinen Natur der einzelnen Tat, eine allgemeine Handlungstheorie ist also die Voraussetzung zum Verständnis ethischer Handlungen. Arbeit (als grundlegendes Mensch-Natur-Verhältnis, ewig notwendiger Stoffwechsel) und Vernunft werden hier also als Mittel der gesellschaftlichen Synthesis gefasst - auch über die kapitalistische Gesellschaft hinaus.
Post-kapitalistische Gesellschaft meint dann nämlich: Was soll Statthalter des Werts werden, wenn dieser nicht mehr ist...
Darauf muss der gewiefte Marxist doch eine Antwort haben. Lukacs hatte die seine. Der Witz daran: Das mag noch so unvollkommen sein (aus der Klasse für sich wurde einfach nichts), ist aber jeder reflexhaften, marxistischen Abwehr von Ontologie bei Weitem überlegen.