Atnam schrieb:
Er geht keinen Vertrag mit Twitter ein oder so.
Nein, in dem Fall ist das nicht ganz richtig. Bei solchen "Verhandlungen" gibt es in der Regel sogar einen Vorvertrag, bevor man überhaupt in eine Verhandlung geht, weil hier ja auch Auswirkungen auf Investoren - sprich Aktiensbesitzer - vorhanden sind und deren "Vermögen" direkt betroffen sind.
In der Regel stimmt man als "Käufer" in so einem Fall sogar Vertragsstraften zu, wenn es nicht zum Deal kommt oder der Deal platz.
Und auch sein Angebot über Twitter kann man, je nach Rechtsauffassung auch bereits als Wunsch und damit auch eingehen eines Vertrages betrachten. Ein Vertrag muss nicht zwingend "Schriftlich" und mit "Unterschrift" sowie von einem Notar beglaubigt werden.
In so einem Kontext reicht es manchmal schon, wenn man so öffentlich wie Musk ein Interesse bekundet und Angebot macht.
Schredderr schrieb:
Der Unterschied ist, dass Tatsachen widerlegt oder bewiesen werden können. Auf Meinungen trifft das nicht zu.
"Der Baum ist größer als 3m" -> Kann ich durch Messen beweisen, also Tatsache.
"Rot ist eine schöne Farbe" -> Kann ich weder beweisen, noch widerlegen, also eine Meinung.
Ja, Nein, es ist deutlich komplizierterter, es ist nämlich durchaus möglich, dass eine "Tatsache" eine Meinung ist. Stark simplifiziert: Jede Tatsache ist eine Meinung, aber nicht jede Meinung ist eine Tatsache. Das merkst du sehr schnell, wenn du dich mit Flatt-Earthers unterhältst.
Das Problem fängt bereits bei dem an, was wir als Meinung verstehen und wie wir selbst damit umgehen. In der philosophie wird zwischen Glauben, Meinung und Wissen unterschieden, das machen wir im Alltag aber nicht, sondern wir fassen das alles als "Meinung" zusammen und wir bewegen uns in heutigen Diskursen auch zwischen den drei Definitionen immer wieder hin und her. Glaube ist dabei das reine subjektive Empfinden, während das Meinen durchaus durch objektive Sachverhalte eine gewisse "Festigkeit" hat, diese aber nicht vollständig die Meinung decken und Wissen bedeutet, dass man etwas objektiv nachweisen kann.
Wir bewegen uns also zwischen Irrationalität und Rationalität bei einer Meinung und so einfach sich die Philosophie die Unterscheidung macht, so schwer ist dieser Unterschied in der Realität wirklich fest zu machen.
Wenn du sagst, dass ein Baum 3m groß ist, dann ist das erst mal "Glaube", wenn du daneben einen Baum hast der 2,75 ist und der andere ist größer, dann wird aus dem Glauben eine Meinung, weil es einen objektiven Indikator gibt und wenn du es dann nachmisst und er ist 3 Meter, wird aus der Meinung Wissen.
Das Problem, dass wir heute haben, ist, dass oft Wissen als Meinung, Meinung als Glauben und Glaube als Wissen dargestellt wird, je nach dem, was für die eigene Sichtweise gerade am Besten ist. Genauso haben wir heute sehr viele Menschen, die mal gehört haben oder - wie hier im Thema bereits passiert - mit angeblich gesundem Menschenverstand argumentieren, weil ihnen andere Meinungen und Aussagen nicht gefallen und sie es in der Regel nicht ertragen können, dass es auch passieren kann, dass mehre Meinungen "richtig" sein können und sich nicht widersprechen müssen, sondern verschiedene Aspekte sind.
Ein großes Problem unsere Zeit, unsere Gesellschaft ist, dass wir wir all zu oft denken, dass unsere Meinung Wissen ist und wir daher richtig liegen und die Gegenseite automatisch falsch liegen muss. Es gibt Bereiche, da kann man wirklich "Wissen" generieren - Mathematik, in dem man rechnet, Physik, in dem man die Thesen beweist, Biologie, Chemie, also den klassischen Naturwissenschaften. In allen anderen Gebieten generiert man kein wirkliches Wissen, sondern Meinungen, die man mal mit mehr Wissen, darauf aufbauenden Vermutungen und verknüpften Erfahrungen begründet oder die eher auf Empfinden und Glauben beruhen.
Und da kommt ein weiteres großes Problem: Viele Menschen sehen "Wissen" oft als ultimative Wahrheit an und verstehen nicht, dass das, was sie als Wissen bezeichnen, oft eine Momentaufnahme ist und damit eher eine Meinung zu einem bestimmten Zeitpunkt, die man als wahrscheinlich ansehen muss. So etwas kannst du in der Klimaforschung beobachten. Hier wird kein absolutes "Wissen" produziert, da zu viele Faktoren eine Rolle spielen. Es gibt Wissen - jeder einzelne Tag und wie da das Wetter war - darauf aufbauend gibt es Statistiken, die Indizien liefern, die man dann mit Logik in eine halbwegs gesicherte Vermutung überführt. Jetzt kommt jeden Tag neues Wissen dazu, womit man die Statistiken überarbeitet, die Indizien anpassen muss und die Vermutung sich ändern kann.
In der Klimaforschung wird den Wissenschaftlern oft ein Strick daraus gedreht, dass sie immer und immer wieder neue Prognosen abgeben, dass es mal schneller, mal langsamer voran geht, dass es mal katastrophal sein kann, dann doch nicht wieder so schlimm und eben weil sich da das "Wissen" ständig ändert, versuchen bestimmte Kreise genau dass als Argument gegen den "Klimawandel" zu verwenden: "Die Klimaforscher sagen ja täglich was anderes und wissen eigentlich auch nichts."
Oder du kannst dich ja mal mit VWL und BWL beschäftigen und da die ganzen unterschiedlichen Lehren und Meinungen und wie sich da die Leute teilweise die Köpfe einschlagen, weil sie denken, dass ihre Meinung richtig ist. Gerade unsere Journalisten - allen voran die BWL-Elite des Axel Springer Verlages - die immer ganz genau wissen, was jetzt gemacht werden soll. Es gibt unglaublich viele neoliberale, die bis heute an den Tripple-Down-Effekt glauben und ihr Glauben als Wissen verkaufen, dabei gibt es zig Studien, die objektive Argumente haben und damit den Tripple-Down-Effekt auch widerlegen.
Wir Menschen werden in der Regel von unserem eigenen Glauben und Empfinden getrieben, denken, dass unser Glaube Wissen wäre und projezieren es auf andere. Dazu kommt, dass man allen anderen oft das "Wissen" dann abspricht, weil es dem eigenen Empfinden entgegen steht und daher nicht Wahr sein kann. Viele Menschen reflektieren sich auch nicht selbst, denn Selbstreflexion würde bedeuten, dass man Fehler eingestehen muss, dafür sind die meisten Menschen aber zu Stolz. Genauso will kein Mensch "schlecht" sein, aber das eigene Handeln wird oft nicht hinterfragt, sondern man verweist dann lieber auf angebliche Fehler des Gegenüber, wenn man einmal einen Spiegel vorgehalten bekommt. Das nimmt dann teilweise auch lustige Züge an, wenn man selbst zum Beispiel zu gibt, dass man an dem einen Punkt so handelt und es auch erläutert, warum man so handelt und der Gegenüber einen für genau das, handeln was man selbst beschreibt, auch versucht noch mal an zugreifen. Das Forum hier ist bei bestimmten Themen voll mit entsprechenden Beispielen.
Kaboooom schrieb:
Angesichts der zeitlichen Abläufe lässt sich der Vorwurf der "Vernebelungstaktik" schlicht nicht aufrecht erhalten.
Lässts sich nicht? An dem Fall bist du Musk voll auf dem Leim gegangen, so wie vielen seiner Fans und ihr merkt es nicht mal, weil euch entscheidendes Hintergrundwissen über die Arbeit investigativen Journalismuses fehlt.
Kaboooom schrieb:
Im Falle von Musk wissen wir sogar, wann die Benachrichtigung über die Berichterstattung der Vorwürfe erfolgte und dass dies zeitlich einige Stunden vor seinem "Ich wähle Republikaner"-Tweet war.
Allerdings hatte Musk seinen Seitenwechsel zu den Republikanern bereits in einem zwei Tage zuvor veröffentlichen Youtube-Interview bekannt gemacht und damit vor (!) den Anschuldigungen.
Durchaus eine valide Herleitung, deren Logik man auch anerkennen muss, nur ist das in dem Fall EINE mögliche Herleitung, die darauf beruht, dass das Investitativ-Team und deren Verlag Musk nicht im Vorfeld um eine Stellungnahme gebeten haben.
Es gibt jetzt aber eine weitere Möglichkeit und kurz um etwas Background zu geben: In jedem Seminar für investigative Journalist*innen geht man auch auf die möglichen rechtlichen Konsequenzen ein, die drohen, wenn man jemanden zu unrecht beschuldigt und sowohl in den USA als auch Deutschland ist man sehr schnell auch Schadensersatzpflichtig und hat auch eine Unterlassungserklärung im Haus. In den USA kann dich so etwas auch regelrecht ruinieren, weil jemand wie Musk dich nicht nur auf ein paar tausend Euro verklagt, sondern eher ein paar Millionen. Bei solchen Anschuldigungen ist es daher auch die journalistische Sorgfaltspflicht, dass man den betroffenen Personen vorab darüber informiert, dass man entsprechendend Recherchen durchgeführt hat und das man auch eine angemessene Zeitspanne für eine Stellungsnahme einräumen muss. Bei leichten Anschuldigungen sollen es mindestens 24 Stunden sein, bei schweren Anschuldigungen soll man, weil sich die Beschuldigten auch mit Anwälten beraten sollen, deutlich mehr Zeit einräumen. Bei so einer Anschuldigung kann man also davon ausgehen, das Musk zu dem Zeitpunkt, als er seinen Tweet abgesetzt hat, bereits wusste, dass ein Team entsprechende Recherchen durchgeführt hat und diese einen Artikel vorbereiten und veröffentlichen werden.
Musk hat hier eine sehr beliebte Taktik durchgeführt, in dem Fall eben seinen "Seitenwechsel". Damit setzt er die Journalisten unter Zugzwang, denn diese müssen nun reagieren und zwar manchmal auch schneller als Ihnen lieb ist. 48 Stunden - 2 Tage - sind in diesem Fall eine sehr überschaubare Zeitspanne und man kann, wie du daraus ableiten, dass er zu de Zeitpunkt nichts wusste und es daher kein Ablenkungsmanöver war, wenn man aber weiß, wie in so einem Fall gearbeitet wird, dann weiß man auch, dass bei diesen 48 Stunden es eher wahrscheinlich ist, dass er sehr genau wusste, was da als Recherche gegen ihn läuft und er bereits die Information hatte, das ein entsprechender Artikel kommen wird.
Man kann sich ja - weil es aktuell gut passt - den Fall um Flynn Kliemann ansehen: Die Videoveröffentlichung erfolgte am 06. Mai auf YouTube, Flynn Kliemann hat aber bereits am 01.05/02.05 und durch sein Statement auf die Anschuldigungen reagiert und dann wusste die Presse davon und er setzte das ZDF Magazin Royal unter Zugzwang.
Wir sprechen in dem Fall also von knapp einer Woche und damit über 48 Stunden. Was man hier auch als Indiz nehmen kann und damit haben wir eine zweite valide Herleitung, dass es ein geplantes Manöver von Musk war und das voll aufgegangen ist.