Taron
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Zwei Wochen Zorin - Windows adé?
Eigentlich wollte ich ja nur ein wenig was über meine ersten Eindrücke und Erfahrungen im Alltag mit dieser Distribution schreiben, einen Zwischenstand sozusgen. Aber dann...
Lief es alles etwas aus dem Ruder... War nicht so direkt geplant, aber als ich erst am schreiben war, ergab sich das halt.
Gaming sei ja noch immer so eine Sache auf dem Linux-PC, liest man hier auch immer wieder.
Kann sicherlich sein, und manche Dinge die damit einhergehen, klappen vielleicht nicht unbedingt auf Anhieb. Aber darum geht es mir in erster Linie nicht (mehr). Für mich ist die Alltagstauglichkeit mit meinem stark Windows-basierten Workflow entscheidend.
Und vielleicht interessant für jene, die gerne von Windows wechseln wollen, aber nach wie vor zurückschrecken. - Was ich nachvollziehen kann, wer kaum Vorkenntnisse hat oder wirklich nur reiner Anwender von IT ist, wird es zumindest anfangs schon relativ schwer haben. Dazu kommt die Umgewöhnung in Design und Bedienung.
Vorgeschichte
Schon seit längerem hatte ich mir vorgenommen, von Win 8.1 auf Linux zu migrieren. Win 8.1 bekommt zwar noch bis 2023 Extended Support, dennoch war mir wichtig, dass ich bereits langsam und ohne Zeitdruck Alternativen erschließen und meine Produktivarbeit langsam Stück für Stück verlagern konnte.
Ich mag Win 10 und vor allem die Firma Microsoft nicht, und das sage ich nicht nur öffentlich. Abgesehen von Kennenlernphasen in einer VM wegen dem mehr oder weniger "freiwilligen" Job des Family-Admins nutze ich Win 10 einfach nicht.
Problem für mich: MS Office muss irgendwie längerfristig ersetzt werden, ebenso wie manche speziellere Programme (Messgeräte/Labortechnik, SDR), und spezifische Anforderungen meines Nutzungsmix müssen erfüllt werden, wie Akkulaufzeit und möglichst geringe Umgewöhnung.
Installation, UI und Bedienung
Ich habe seit knapp zwei Wochen ein Dualboot mit Zorin OS 15.1 Core laufen.
Mein Gerät:
Installation des OS klappte problemlos, Programme nachinstallieren ging schneller als je unter Windows.
Das ist für mich auch die absolute Stärke eines Terminals, zumindest wenn man die Befehle und die Namen der Programme kennt. Keine 10 Minuten und die wichtigsten Sprachpakete und Programme waren schon installiert. Kleinere Anpassungen an UI sind auch kein Problem, bspw. ist der "Gnome-Tweaker" ein guter erster Schritt.
Das "App-Center" nutze ich fast nie, meist nutze ich das Terminal. Aber gut, dass der Nutzer die Wahl hat, was er möchte. Die Suchfunktion schlägt einem auch Anwendungen aus diesem "App-Center" vor. Spotify habe ich vorhin mal so installiert, klappte einwandfrei.
Für einen normalen Nutzer außerhalb der technischen Bereiche wichtig, einfach und unkompliziert die gewünschten Anwendungen installieren zu können, ohne .exe-Installer, Onlinekonten für irgendwelche Stores oder Terminal.
Das UI ist von der Philosophie sehr stark dem Windows-Style nachempfunden, wobei es dieses nicht komplett nachahmt oder gar emuliert. Dateimanager, Startmenü und Aktivitäten-Übersicht wirken wie frisch designt und haben ihren ganz eigenen unverwechselbaren Stil. Das ist aber Geschmackssache, manche mögen Unity oder Xfce halt mehr.
Was mir gut gefällt: es lassen sich in jedem Ordner direkt versteckte Dateien anzeigen und wieder verbergen. Oben rechts die 3 Punkte anklicken und "Verborgene Dateien anzeigen" wählen. Mit Strg+H erreicht man in Gnome-basierten Desktops dasselbe.
In den Einstellungen verbergen sich hinter dieser Schaltfläche kontextabhängige Einstellungen.
Ein Blick lohnt sich dort daher durchaus.
Alle Geräte und Fn-Funktionen wie Tastenbeleuchtung und Volume-Setting funktionieren. Interessanterweise lässt sich der Bildschirm unter Zorin etwas dunkler einstellen als unter Windows. Gerade abends im Bett wirklich sehr angenehm. Sound und Grafik geben keinen Grund zur Beanstandung. USB ist sehr schnell (3.0 scheint also zu funktionieren, denke ich mal) und alle Sticks werden erkannt, ebenso wie SD-Karten.
Programme
Wegen dem Dualboot wird der Bootloader Grub genutzt. Der lässt sich wie vieles in Linux nach eigenem Wunsch anpassen, beispielsweise mit Grub Customizer. Ich habe damit eingestellt, dass stets das zuletzt gebootete OS gestartet wird. (Danke @Old Knitterhemd für den Tipp.)
Sogar Programme für Software Defined Radio aka SDR sind für meinen Nooelec NESDRsmart RTL-SDR-Stick verfügbar (R820T2 Tuner). Treiberinstallation war etwas umständlicher als mit Zadig unter Windows, aber die Anleitung von Nooelec war richtig gut und hilft enorm bei der Installation.
Die Performance von Gqrx ist dabei sogar besser als unter Windows (SDRSharp), die CPU wird weitaus weniger stark belastet, was der Akkulaufzeit bei Scan-Sessions weitab der Zivilisation zugute kommt.
Und wenn man halt nur mal UKW-Radio hören möchte...
Arduino- und ESP32-Programmierung funktioniert auch, auch wenn anfangs mehrfach vor kleineren Problemen stand.
Installation und Freigeben des USB-Ports war kein Problem, die Installation von Libraries war wie gewohnt einfach, mit einem Vorteil übrigens: unter Linux wird angeboten, die abhängigen Libs direkt mit zu installieren - spart suchen und nachinstallieren. Sehr schön.
Komplexere Programme laufen auf dem ESP32 nach Flashing nicht immer einwandfrei, unter Windows allerdings schon. Warum, keine Ahnung. Mit einem Arduino Mega2560 und Micro habe ich es noch nicht getestet, vielleicht ist das tatsächlich ein Problem vom verwendeten Board.
Nach längerem Testen von verschiedenen Arduino-Boards (Mega2560, Uno, Micro) und verschiedenen Beispielprogrammen von Sensoren und Displays komme ich zu dem Schluss, dass die Probleme mit dem ESP32-Board (TTGO LoRa32 V1 mit SX1276) durch die Hardware verursacht werden. Das hat für meine Begriffe also nichts mit dem OS zu tun, vielleicht ist das Board schlicht defekt.
Das Flashen und Ausführen der Sketches auf sämtlichen Arduinos klappte in all meinen Tests ohne Probleme.
Mein bisschen HTML/PHP/MySQL-Programmierung macht ebenso keine Probleme, auch nicht mit FTP-Client (Filezilla) und Editor. Ach ja, Editor - gedit (aka "Textbearbeitung" in Zorin) lässt sich hervorragend bedienen, Syntax-Highlighting für zig verschiedene Sprachen von Assembler über C bis Rust ist verfügbar. Installation von Notepad++ wie unter Win ist nicht mehr notwendig - super, ein Zusatzprogramm weniger!
Das waren meine "spezielleren" Programme. Können bei euch natürlich ganz andere sein. Und wenn es Spiele sind. Oder aufwendige CAD- oder Videoprogramme. Man sieht aber - auch speziellere Wünsche kann das Linux-Ökosystem durchaus erfüllen, wobei die Bereitschaft sich auf neues einzulassen und ggf. auf manche Annehmlichkeiten oder Workflows verzichten zu können schon vorhanden sein sollte.
Nun zu dem, was im Alltag eher relevant ist...
LibreOffice als das bekannteste Opensource-Office ist leider für mich kaum benutzbar - vor allem wegen dem aus meiner Sicht völlig veralteten UI, worüber man sich aber nach wie vor gern streitet - und fühlt sich irgendwie träge an. Nutze es schon lange nur noch für den Import bestimmter Tabellen (CSV mit bestimmten Trennern bspw.). Ich komme mit Ribbons einfach besser klar, kann bei vielen anderen natürlich anders aussehen.
Softmaker Office lässt sich besser bedienen und ist relativ schnell, wenn auch nicht so flink wie MS Office. Vom Design und dem Workflow ähnelt es MS Office aber durchaus, und kostet auch nicht so viel. Für Freunde der Ribbons definitiv zu empfehlen, wobei sich auch die klassischen Drop-Down-Menüs auswählen lassen.
Der Test in Schule und Arbeit steht noch aus, daher kann ich zu den Details von Softmaker Office noch nichts zu sagen.
Für Mail nutze ich Geary. Die Einrichtung meines Posteo-Postfachs lief einfach und zuverlässig. Ein Mailclient mit Anleihen an den Mac OS-Client, was aber richtig gut kommt und super simpel aussieht. Für Windows gibt es sowas eigentlich nur von MS selbst, dann vielleicht noch den eM-Client und Mailbird. Thunderbird selber nutze ich nicht, mir gefällt dabei ohnehin das UI nicht.
Leider gibt es in Geary einen Bug der Schriftfarbe, sobald man ein Dark Theme nutzt. Dann bleibt die Schrift im Nachrichten- und Schreibfenster ("Mail Composer") schlicht weiß, was auf weißem Hintergrund vieles eher schwerer macht... In diesem Post habe ich die zweite nunmehr funktionierende Lösung detaillierter beschrieben!
So sieht mein Workaround aktuell aus:
Wegen dem harten Kontrast absolut nicht optimal, aber besser als vorher. Bin auf die kommenden Releases gespannt, wo das gefixt werden soll!
Multimedia: VLC, wie die letzten zehn Jahre. Läuft, wer diesen Player kennt weiß direkt was Sache ist. Spielt quasi alles ab, von AVI über MP4 bis hin zu WAV.
Im Internet nutze ich Firefox mit meinen Lieblings-Addons, wie gewohnt. Youtube-Videos laufen auch auf 1080p absolut flüssig, einen Unterschied spüre ich zu Win 8.1 nicht. Spotify gibt es von offizieller Quelle, nutze ich gerade, während ich das hier tippe. Der Client ist übrigens schneller als unter Windows. Da fühlt sich der Client mittlerweile recht träge an, sowohl beim Start als auch bspw. Scrollen. Macht nicht mehr so wirklich viel Spaß.
Videostreaming nutze ich quasi nicht, daher kann ich dazu leider nicht sagen, wie es läuft. Gibt aber bestimmt andere User hier, die dies ergänzen können.
Für Bildbearbeitung, wie sie im Privaten gerne mal anfällt (wie Größe ändern, Unschärfe, Helligkeit/Kontrast, Zuschneiden, Farbbalance) nutze ich Pinta. Ein etwas älteres Programm, aber bis dato fehlerfrei und vor allem - es ähnelt Paint.NET extrem. Absolut genial, da ich das unter Windows fast nur nutze - muss ich mich halt kaum umgewöhnen, was mir als Gewohnheitstier der ersten Sorte absolut entgegenkommt...
Das momentan einzige Spiel auf meinem Laptop ist Minecraft.
Mit neuester Vanilla Version 1.15.1, neu generierter Welt und etwas angepassten Einstellungen (Chunk-Sichtweite 6, Partikel reduziert, JVM-Argument -Xmx6G) läuft es fast konstant auf 60 fps.
Es gibt zwar leichte Drops, welche aber kaum stören. Vor allem wenn sehr viele Kreaturen auf engem Raum (in einer Hühnerzucht bspw.) gerendert werden müssen sinkt die Bildrate auch in einen unangenehmen Bereich (15-30 fps). Sonst ruckelt es aber eigentlich nicht und ist für meine Begriffe auf einem Intel HD-basierten Laptop gut spielbar. Für mich läuft es sogar gefühlt etwas besser als unter Windows.
Auch einen Ersatz für NetSpeedMonitor (Win) gibt es, nämlich Indicator-Netspeed. Wer NetSpeedMonitor nicht kennt: das kleine Tool zeigt in der Taskbar Up- und Download-Speed an und loggt auf Wunsch auch den Traffic (lässt sich im Kompatibilitätsmodus sogar unter Win 10 installieren, auch wenn sonst was anderes behauptet wird).
Wer C beherrscht, kann das Design von Indicator-Netspeed recht freizügig anpassen und nur das anzeigen, was einem wichtig ist - in meinem Fall die Download-Geschwindigkeit. Nur der Traffic wird nicht geloggt, aber diese Funktion hatte ich ohnehin nicht gebraucht.
Richtig klasse finde ich aber den Darkmode. Macht einfach richtig was her, vor allem zusammen mit ComputerBase Dark.
Wirklich alles gut?
Schon was nervig: Hochfahren dauert deutlich länger, auch ist anfangs das System träger, während Win zumindest gefühlt "halt sofort da ist". Nach ein paar Minuten verschwindet das aber. Herunterfahren geht dafür umso schneller. Etwa zehn Sekunden, und aus ist der Rechner. Energiesparmodus ist nach ein paar Sekunden aktiviert, auf Wunsch auch direkt nach Zuklappen des Geräts.
Umbenennen von Dateien geht nicht durch zweimal langsam klicken wie bei Win. F2 drücken und dann öffnet sich ein kleines Fenster zum Umbenennen. Warum eigentlich? Da ich aber eh fast nur F2 zum Umbenennen nutze, auch eigentlich egal.
Mein größtes Problem ist aber die Akkulaufzeit, etwas was ich schon einmal im Zorin-Newsthread erwähnt hatte. Ich bekomme mit niedrigster Helligkeit, WLAN ein und Tastaturbeleuchtung aus nach wie vor nur etwas mehr als die Hälfte unter Win, trotz Powertop (inkl. autotune), Microcode-Update und tlp sowie befolgen diverser Standard-Tipps (Bluetooth ausschalten und Co.). Mehr als 4 Stunden sind kaum drin, unter Win 8.1 können es schon mal 8-9 Stunden unter optimalsten Bedingungen sein...
Das fühlt man auch, die Base ist auch im Idle deutlich wärmer als unter Win 8.1. - Fairerweise muss ich sagen, der Lüfter bleibt auch bei Internet und Office quasi immer aus, ist insofern zumindest kein geräuschvolles Problem.
Die geringe Akkulaufzeit ist momentan leider fast der Dealbreaker, da der Laptop in der Schule gerne mal 6 Stunden läuft und ich keine Lust habe, nur wegen dem OS extra ein Ladekabel mitschleppen zu müssen.
Ich hoffe, ich finde dafür noch irgendwo eine wirksame Lösung, denn das verleidet mir den mobilen Einsatz wirklich ein bisschen. Unter anderen Distributionen (namentlich Elementary und Ubuntu in aktuellster Version Stand Dez. 2019) hat sich dies leider auch nicht geändert.
Fazit
Die Nutzung macht mir Spaß, ja - und das sage ich nicht allzu häufig. Vor allem nicht, wo ich mich mittlerweile deutlich weniger mit solchen Dingen beschäftige...
Bereits jetzt nutze ich Zorin im Mix deutlich über schätzungsweise 50 %, starten tue ich Windows eigentlich nur noch für Arduino, ältere Win-only Spiele und Office (vor allem mobil). Manchmal merke ich noch nicht mal sofort, dass gerade Zorin läuft und merke das erst, wenn ich die Windows-Taste für die Suche drücke. - was absolut für diese Distribution spricht.
Grundsätzlich würde ich sagen, Linux als solches läuft auch für unerfahrene Anwender einwandfrei und sieht auch gut aus, besser als es je zuvor der Fall war.
Imho kein Vergleich zu dem was es früher gab (2010 habe ich das erste mal mit Ubuntu und Co. experimentiert, das war damals irgendwie... nicht schön - ok, damals gab es kaum SSDs und die CPUs in günstigen Laptops waren damals einfach mies), und Zorin fühlt sich dagegen absolut durchdacht und ausgereift an.
Es hat sich schlichtweg enorm was getan.
Zusammen mit dem Design und den vielen Kleinigkeiten, welche einem den Alltag erleichtern und durchdachter wirken, nehme ich an, dass ich Windows längerfristig nur noch für spezielle Anwendungen wie Win-only-Software oder kleinere Spiele (RCT3, Game Dev Tycoon) starten werde. Und was bis zum Ende des Win 8.1-Supports 2023 in Sachen Linux kommen wird, kann ich ohnehin höchstens dunkel erahnen.
Natürlich gibt es sie noch, die Dinge die einfach kompliziert sind und den normalen Anwender eher ratlos und frustriert zurücklassen. Ging mir ähnlich, als ich versucht habe, an eine aktuelle Version von Geary zu kommen. Aber da es unter Linux gefühlt tausend Möglichkeiten gibt, an Programme zu kommen und auf verschiedenste Weise zu installieren, habe ich mein Ziel dennoch erreicht.
In der Hinsicht ist die Vielfalt in so ziemlich allem was Linux bietet ein großer Vorteil und gerade im Bereich der Fehlersuche und dem Support und der Dokumentation hat sich die letzten Jahre auch eine ganze Menge getan.
Bleibt tatsächlich nur noch Danke zu sagen, an all diejenigen, die mit ihren Wissen und ihrem Elan dieses OS möglich gemacht haben!
Linux als Kernel und in Zusammenhang mit den Distributionen ist tatsächlich am Ende ein wirklich globales Projekt gewesen und ist es immer noch. Noch nie ist der Umstieg einfacher, noch nie muss man sich weniger umgewöhnen als heute.
Die viel kritisierte Vielfalt an Distributionen ist in meinen Augen übrigens eher ein Vorteil, vor allem wenn dafür einverbreiteter und zuverlässiger Unterbau (Debian/Ubuntu) genutzt wird und damit auch Support und schnelle Problemlösungen verfügbar sind.
Ja. Linux ist erwachsen geworden. Und zwar auf eine ganz eigene, liebenswerte Weise.
Etwas, woran ich fünf Jahren nicht mal ansatzweise gedacht hätte. Und ComputerBase trägt ebenfalls dazu bei, danke an den frischen Linux-Wind, der hier mittlerweile weht.
Ich hoffe, meine Erfahrungen und Eindrücke haben euch gefallen.
VG, Taron
Eigentlich wollte ich ja nur ein wenig was über meine ersten Eindrücke und Erfahrungen im Alltag mit dieser Distribution schreiben, einen Zwischenstand sozusgen. Aber dann...
Lief es alles etwas aus dem Ruder... War nicht so direkt geplant, aber als ich erst am schreiben war, ergab sich das halt.
Gaming sei ja noch immer so eine Sache auf dem Linux-PC, liest man hier auch immer wieder.
Kann sicherlich sein, und manche Dinge die damit einhergehen, klappen vielleicht nicht unbedingt auf Anhieb. Aber darum geht es mir in erster Linie nicht (mehr). Für mich ist die Alltagstauglichkeit mit meinem stark Windows-basierten Workflow entscheidend.
Und vielleicht interessant für jene, die gerne von Windows wechseln wollen, aber nach wie vor zurückschrecken. - Was ich nachvollziehen kann, wer kaum Vorkenntnisse hat oder wirklich nur reiner Anwender von IT ist, wird es zumindest anfangs schon relativ schwer haben. Dazu kommt die Umgewöhnung in Design und Bedienung.
Vorgeschichte
Schon seit längerem hatte ich mir vorgenommen, von Win 8.1 auf Linux zu migrieren. Win 8.1 bekommt zwar noch bis 2023 Extended Support, dennoch war mir wichtig, dass ich bereits langsam und ohne Zeitdruck Alternativen erschließen und meine Produktivarbeit langsam Stück für Stück verlagern konnte.
Ich mag Win 10 und vor allem die Firma Microsoft nicht, und das sage ich nicht nur öffentlich. Abgesehen von Kennenlernphasen in einer VM wegen dem mehr oder weniger "freiwilligen" Job des Family-Admins nutze ich Win 10 einfach nicht.
Problem für mich: MS Office muss irgendwie längerfristig ersetzt werden, ebenso wie manche speziellere Programme (Messgeräte/Labortechnik, SDR), und spezifische Anforderungen meines Nutzungsmix müssen erfüllt werden, wie Akkulaufzeit und möglichst geringe Umgewöhnung.
Installation, UI und Bedienung
Ich habe seit knapp zwei Wochen ein Dualboot mit Zorin OS 15.1 Core laufen.
Mein Gerät:
- Dell Latitude E7250
- i5-5300U
- 12 GB DDR3
- 250 GB Samsung 850 EVO mSATA
Installation des OS klappte problemlos, Programme nachinstallieren ging schneller als je unter Windows.
Das ist für mich auch die absolute Stärke eines Terminals, zumindest wenn man die Befehle und die Namen der Programme kennt. Keine 10 Minuten und die wichtigsten Sprachpakete und Programme waren schon installiert. Kleinere Anpassungen an UI sind auch kein Problem, bspw. ist der "Gnome-Tweaker" ein guter erster Schritt.
Das "App-Center" nutze ich fast nie, meist nutze ich das Terminal. Aber gut, dass der Nutzer die Wahl hat, was er möchte. Die Suchfunktion schlägt einem auch Anwendungen aus diesem "App-Center" vor. Spotify habe ich vorhin mal so installiert, klappte einwandfrei.
Für einen normalen Nutzer außerhalb der technischen Bereiche wichtig, einfach und unkompliziert die gewünschten Anwendungen installieren zu können, ohne .exe-Installer, Onlinekonten für irgendwelche Stores oder Terminal.
Das UI ist von der Philosophie sehr stark dem Windows-Style nachempfunden, wobei es dieses nicht komplett nachahmt oder gar emuliert. Dateimanager, Startmenü und Aktivitäten-Übersicht wirken wie frisch designt und haben ihren ganz eigenen unverwechselbaren Stil. Das ist aber Geschmackssache, manche mögen Unity oder Xfce halt mehr.
Was mir gut gefällt: es lassen sich in jedem Ordner direkt versteckte Dateien anzeigen und wieder verbergen. Oben rechts die 3 Punkte anklicken und "Verborgene Dateien anzeigen" wählen. Mit Strg+H erreicht man in Gnome-basierten Desktops dasselbe.
In den Einstellungen verbergen sich hinter dieser Schaltfläche kontextabhängige Einstellungen.
Ein Blick lohnt sich dort daher durchaus.
Alle Geräte und Fn-Funktionen wie Tastenbeleuchtung und Volume-Setting funktionieren. Interessanterweise lässt sich der Bildschirm unter Zorin etwas dunkler einstellen als unter Windows. Gerade abends im Bett wirklich sehr angenehm. Sound und Grafik geben keinen Grund zur Beanstandung. USB ist sehr schnell (3.0 scheint also zu funktionieren, denke ich mal) und alle Sticks werden erkannt, ebenso wie SD-Karten.
Programme
Wegen dem Dualboot wird der Bootloader Grub genutzt. Der lässt sich wie vieles in Linux nach eigenem Wunsch anpassen, beispielsweise mit Grub Customizer. Ich habe damit eingestellt, dass stets das zuletzt gebootete OS gestartet wird. (Danke @Old Knitterhemd für den Tipp.)
Sogar Programme für Software Defined Radio aka SDR sind für meinen Nooelec NESDRsmart RTL-SDR-Stick verfügbar (R820T2 Tuner). Treiberinstallation war etwas umständlicher als mit Zadig unter Windows, aber die Anleitung von Nooelec war richtig gut und hilft enorm bei der Installation.
Die Performance von Gqrx ist dabei sogar besser als unter Windows (SDRSharp), die CPU wird weitaus weniger stark belastet, was der Akkulaufzeit bei Scan-Sessions weitab der Zivilisation zugute kommt.
Und wenn man halt nur mal UKW-Radio hören möchte...
Arduino- und ESP32-Programmierung funktioniert auch, auch wenn anfangs mehrfach vor kleineren Problemen stand.
Installation und Freigeben des USB-Ports war kein Problem, die Installation von Libraries war wie gewohnt einfach, mit einem Vorteil übrigens: unter Linux wird angeboten, die abhängigen Libs direkt mit zu installieren - spart suchen und nachinstallieren. Sehr schön.
Komplexere Programme laufen auf dem ESP32 nach Flashing nicht immer einwandfrei, unter Windows allerdings schon. Warum, keine Ahnung. Mit einem Arduino Mega2560 und Micro habe ich es noch nicht getestet, vielleicht ist das tatsächlich ein Problem vom verwendeten Board.
Nach längerem Testen von verschiedenen Arduino-Boards (Mega2560, Uno, Micro) und verschiedenen Beispielprogrammen von Sensoren und Displays komme ich zu dem Schluss, dass die Probleme mit dem ESP32-Board (TTGO LoRa32 V1 mit SX1276) durch die Hardware verursacht werden. Das hat für meine Begriffe also nichts mit dem OS zu tun, vielleicht ist das Board schlicht defekt.
Das Flashen und Ausführen der Sketches auf sämtlichen Arduinos klappte in all meinen Tests ohne Probleme.
Mein bisschen HTML/PHP/MySQL-Programmierung macht ebenso keine Probleme, auch nicht mit FTP-Client (Filezilla) und Editor. Ach ja, Editor - gedit (aka "Textbearbeitung" in Zorin) lässt sich hervorragend bedienen, Syntax-Highlighting für zig verschiedene Sprachen von Assembler über C bis Rust ist verfügbar. Installation von Notepad++ wie unter Win ist nicht mehr notwendig - super, ein Zusatzprogramm weniger!
Das waren meine "spezielleren" Programme. Können bei euch natürlich ganz andere sein. Und wenn es Spiele sind. Oder aufwendige CAD- oder Videoprogramme. Man sieht aber - auch speziellere Wünsche kann das Linux-Ökosystem durchaus erfüllen, wobei die Bereitschaft sich auf neues einzulassen und ggf. auf manche Annehmlichkeiten oder Workflows verzichten zu können schon vorhanden sein sollte.
Nun zu dem, was im Alltag eher relevant ist...
LibreOffice als das bekannteste Opensource-Office ist leider für mich kaum benutzbar - vor allem wegen dem aus meiner Sicht völlig veralteten UI, worüber man sich aber nach wie vor gern streitet - und fühlt sich irgendwie träge an. Nutze es schon lange nur noch für den Import bestimmter Tabellen (CSV mit bestimmten Trennern bspw.). Ich komme mit Ribbons einfach besser klar, kann bei vielen anderen natürlich anders aussehen.
Softmaker Office lässt sich besser bedienen und ist relativ schnell, wenn auch nicht so flink wie MS Office. Vom Design und dem Workflow ähnelt es MS Office aber durchaus, und kostet auch nicht so viel. Für Freunde der Ribbons definitiv zu empfehlen, wobei sich auch die klassischen Drop-Down-Menüs auswählen lassen.
Der Test in Schule und Arbeit steht noch aus, daher kann ich zu den Details von Softmaker Office noch nichts zu sagen.
Für Mail nutze ich Geary. Die Einrichtung meines Posteo-Postfachs lief einfach und zuverlässig. Ein Mailclient mit Anleihen an den Mac OS-Client, was aber richtig gut kommt und super simpel aussieht. Für Windows gibt es sowas eigentlich nur von MS selbst, dann vielleicht noch den eM-Client und Mailbird. Thunderbird selber nutze ich nicht, mir gefällt dabei ohnehin das UI nicht.
Leider gibt es in Geary einen Bug der Schriftfarbe, sobald man ein Dark Theme nutzt. Dann bleibt die Schrift im Nachrichten- und Schreibfenster ("Mail Composer") schlicht weiß, was auf weißem Hintergrund vieles eher schwerer macht... In diesem Post habe ich die zweite nunmehr funktionierende Lösung detaillierter beschrieben!
So sieht mein Workaround aktuell aus:
Wegen dem harten Kontrast absolut nicht optimal, aber besser als vorher. Bin auf die kommenden Releases gespannt, wo das gefixt werden soll!
Multimedia: VLC, wie die letzten zehn Jahre. Läuft, wer diesen Player kennt weiß direkt was Sache ist. Spielt quasi alles ab, von AVI über MP4 bis hin zu WAV.
Im Internet nutze ich Firefox mit meinen Lieblings-Addons, wie gewohnt. Youtube-Videos laufen auch auf 1080p absolut flüssig, einen Unterschied spüre ich zu Win 8.1 nicht. Spotify gibt es von offizieller Quelle, nutze ich gerade, während ich das hier tippe. Der Client ist übrigens schneller als unter Windows. Da fühlt sich der Client mittlerweile recht träge an, sowohl beim Start als auch bspw. Scrollen. Macht nicht mehr so wirklich viel Spaß.
Videostreaming nutze ich quasi nicht, daher kann ich dazu leider nicht sagen, wie es läuft. Gibt aber bestimmt andere User hier, die dies ergänzen können.
Für Bildbearbeitung, wie sie im Privaten gerne mal anfällt (wie Größe ändern, Unschärfe, Helligkeit/Kontrast, Zuschneiden, Farbbalance) nutze ich Pinta. Ein etwas älteres Programm, aber bis dato fehlerfrei und vor allem - es ähnelt Paint.NET extrem. Absolut genial, da ich das unter Windows fast nur nutze - muss ich mich halt kaum umgewöhnen, was mir als Gewohnheitstier der ersten Sorte absolut entgegenkommt...
Das momentan einzige Spiel auf meinem Laptop ist Minecraft.
Mit neuester Vanilla Version 1.15.1, neu generierter Welt und etwas angepassten Einstellungen (Chunk-Sichtweite 6, Partikel reduziert, JVM-Argument -Xmx6G) läuft es fast konstant auf 60 fps.
Es gibt zwar leichte Drops, welche aber kaum stören. Vor allem wenn sehr viele Kreaturen auf engem Raum (in einer Hühnerzucht bspw.) gerendert werden müssen sinkt die Bildrate auch in einen unangenehmen Bereich (15-30 fps). Sonst ruckelt es aber eigentlich nicht und ist für meine Begriffe auf einem Intel HD-basierten Laptop gut spielbar. Für mich läuft es sogar gefühlt etwas besser als unter Windows.
Auch einen Ersatz für NetSpeedMonitor (Win) gibt es, nämlich Indicator-Netspeed. Wer NetSpeedMonitor nicht kennt: das kleine Tool zeigt in der Taskbar Up- und Download-Speed an und loggt auf Wunsch auch den Traffic (lässt sich im Kompatibilitätsmodus sogar unter Win 10 installieren, auch wenn sonst was anderes behauptet wird).
Wer C beherrscht, kann das Design von Indicator-Netspeed recht freizügig anpassen und nur das anzeigen, was einem wichtig ist - in meinem Fall die Download-Geschwindigkeit. Nur der Traffic wird nicht geloggt, aber diese Funktion hatte ich ohnehin nicht gebraucht.
Richtig klasse finde ich aber den Darkmode. Macht einfach richtig was her, vor allem zusammen mit ComputerBase Dark.
Wirklich alles gut?
Schon was nervig: Hochfahren dauert deutlich länger, auch ist anfangs das System träger, während Win zumindest gefühlt "halt sofort da ist". Nach ein paar Minuten verschwindet das aber. Herunterfahren geht dafür umso schneller. Etwa zehn Sekunden, und aus ist der Rechner. Energiesparmodus ist nach ein paar Sekunden aktiviert, auf Wunsch auch direkt nach Zuklappen des Geräts.
Umbenennen von Dateien geht nicht durch zweimal langsam klicken wie bei Win. F2 drücken und dann öffnet sich ein kleines Fenster zum Umbenennen. Warum eigentlich? Da ich aber eh fast nur F2 zum Umbenennen nutze, auch eigentlich egal.
Mein größtes Problem ist aber die Akkulaufzeit, etwas was ich schon einmal im Zorin-Newsthread erwähnt hatte. Ich bekomme mit niedrigster Helligkeit, WLAN ein und Tastaturbeleuchtung aus nach wie vor nur etwas mehr als die Hälfte unter Win, trotz Powertop (inkl. autotune), Microcode-Update und tlp sowie befolgen diverser Standard-Tipps (Bluetooth ausschalten und Co.). Mehr als 4 Stunden sind kaum drin, unter Win 8.1 können es schon mal 8-9 Stunden unter optimalsten Bedingungen sein...
Das fühlt man auch, die Base ist auch im Idle deutlich wärmer als unter Win 8.1. - Fairerweise muss ich sagen, der Lüfter bleibt auch bei Internet und Office quasi immer aus, ist insofern zumindest kein geräuschvolles Problem.
Die geringe Akkulaufzeit ist momentan leider fast der Dealbreaker, da der Laptop in der Schule gerne mal 6 Stunden läuft und ich keine Lust habe, nur wegen dem OS extra ein Ladekabel mitschleppen zu müssen.
Ich hoffe, ich finde dafür noch irgendwo eine wirksame Lösung, denn das verleidet mir den mobilen Einsatz wirklich ein bisschen. Unter anderen Distributionen (namentlich Elementary und Ubuntu in aktuellster Version Stand Dez. 2019) hat sich dies leider auch nicht geändert.
Fazit
Die Nutzung macht mir Spaß, ja - und das sage ich nicht allzu häufig. Vor allem nicht, wo ich mich mittlerweile deutlich weniger mit solchen Dingen beschäftige...
Bereits jetzt nutze ich Zorin im Mix deutlich über schätzungsweise 50 %, starten tue ich Windows eigentlich nur noch für Arduino, ältere Win-only Spiele und Office (vor allem mobil). Manchmal merke ich noch nicht mal sofort, dass gerade Zorin läuft und merke das erst, wenn ich die Windows-Taste für die Suche drücke. - was absolut für diese Distribution spricht.
Grundsätzlich würde ich sagen, Linux als solches läuft auch für unerfahrene Anwender einwandfrei und sieht auch gut aus, besser als es je zuvor der Fall war.
Imho kein Vergleich zu dem was es früher gab (2010 habe ich das erste mal mit Ubuntu und Co. experimentiert, das war damals irgendwie... nicht schön - ok, damals gab es kaum SSDs und die CPUs in günstigen Laptops waren damals einfach mies), und Zorin fühlt sich dagegen absolut durchdacht und ausgereift an.
Es hat sich schlichtweg enorm was getan.
Zusammen mit dem Design und den vielen Kleinigkeiten, welche einem den Alltag erleichtern und durchdachter wirken, nehme ich an, dass ich Windows längerfristig nur noch für spezielle Anwendungen wie Win-only-Software oder kleinere Spiele (RCT3, Game Dev Tycoon) starten werde. Und was bis zum Ende des Win 8.1-Supports 2023 in Sachen Linux kommen wird, kann ich ohnehin höchstens dunkel erahnen.
Natürlich gibt es sie noch, die Dinge die einfach kompliziert sind und den normalen Anwender eher ratlos und frustriert zurücklassen. Ging mir ähnlich, als ich versucht habe, an eine aktuelle Version von Geary zu kommen. Aber da es unter Linux gefühlt tausend Möglichkeiten gibt, an Programme zu kommen und auf verschiedenste Weise zu installieren, habe ich mein Ziel dennoch erreicht.
In der Hinsicht ist die Vielfalt in so ziemlich allem was Linux bietet ein großer Vorteil und gerade im Bereich der Fehlersuche und dem Support und der Dokumentation hat sich die letzten Jahre auch eine ganze Menge getan.
Bleibt tatsächlich nur noch Danke zu sagen, an all diejenigen, die mit ihren Wissen und ihrem Elan dieses OS möglich gemacht haben!
Linux als Kernel und in Zusammenhang mit den Distributionen ist tatsächlich am Ende ein wirklich globales Projekt gewesen und ist es immer noch. Noch nie ist der Umstieg einfacher, noch nie muss man sich weniger umgewöhnen als heute.
Die viel kritisierte Vielfalt an Distributionen ist in meinen Augen übrigens eher ein Vorteil, vor allem wenn dafür einverbreiteter und zuverlässiger Unterbau (Debian/Ubuntu) genutzt wird und damit auch Support und schnelle Problemlösungen verfügbar sind.
Ja. Linux ist erwachsen geworden. Und zwar auf eine ganz eigene, liebenswerte Weise.
Etwas, woran ich fünf Jahren nicht mal ansatzweise gedacht hätte. Und ComputerBase trägt ebenfalls dazu bei, danke an den frischen Linux-Wind, der hier mittlerweile weht.
Ich hoffe, meine Erfahrungen und Eindrücke haben euch gefallen.
VG, Taron
Zuletzt bearbeitet:
(Wichtige Updates eingepflegt, Typo)