Artikel-Update: Mittlerweile liegt
ein Presse-Dokument (PDF) zum Schlussantrag vor. Er stammt aus der Feder von Generalanwalt Pedro Cruz Villalón. Es handelt sich um die Rechtssachen
C-293/12 Digital Rights Ireland und
C-594/12 Seitlinger and Others, also um die beiden oben erwähnten Vorabentscheidungsverfahren.
Mangelnde Präzision der Richtlinie
Zu Beginn kritisiert der Generalanwalt die symptomatisch ungenaue Definition von „schweren Verbrechen“ im Sinne der betroffenen Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie. Die derzeitige Auslegung ist viel zu unpräzise und weist einen Mangel an Relation zwischen Schwere der Tat und Rechtfertigbarkeit des Grundrechtseingriffes auf. Er sieht es daher als notwendig an, dass die Richtlinie ein Mindestmaß an umfassender Präzisierung erhält, da dies eine essentielle Voraussetzung für einen Grundrechtseingriff ist.
Privatsphäre
Wie bereits oben erwähnt, sieht er einen Konflikt zwischen Vorratsdatenspeicherung und dem Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre. Hierbei erläutert er, dass eine solch umfangreiche Datensammlung es nämlich ermöglicht, ein präzises Abbild von privaten Lebensbereichen eines Menschen oder gar seiner ganzen „privaten Persönlichkeit“ zu erstellen. Ebenso verweist er auf ein „erhöhtes Risiko“ einer missbräuchlichen Verwendung der Daten für unrechtmäßige, der Privatsphäre zuwiderlaufende Aktivitäten. Die Gefährdung reicht seiner Ansicht nach bis hin zu erpresserischen oder sonstigen bösartigen Verwendungsmöglichkeiten.
Diese Sichtweise begründet er mit dem Umstand, dass die Datenbestände weder von staatlichen Behörden selbst gespeichert noch zumindest die Erhebung direkt kontrolliert wird. Vielmehr obliegt dies vollständig den Internet Service Providern. Da außerdem keine Passage der einschlägigen Richtlinie (
2006/24/EC) eine Speicherung auf dem Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedsstaates vorsieht, können die Daten einfach irgendwo im Internet – und damit anderen Jurisdiktionen unterliegend – abgespeichert werden, was ihrer Sensibilität bei Weitem nicht gerecht wird und somit die Privatsphäre verletzt.
Verhältnismäßigkeit
Prinzipiell hält der Generalanwalt das Ziel der Richtlinie – Aufbewahrung und Bereitstellung der Daten zum Zwecke der Strafverfolgung bestimmter schwerer Verbrechen – für legitim. Jedoch sieht er einen Mangel an Verhältnismäßigkeit bei der Speicherungsdauer der Daten von bis zu zwei Jahren. Seiner Ansicht gebe es keinen Grund, die gesammelten Daten länger als ein Jahr lang aufzubewahren.
Sonstige Problemfelder
Er vertritt darüber hinaus die Ansicht, dass eine Limitierung der Zugriffsberechtigung, wenn nicht schon nur auf Justizbehörden, dann zumindest auf – von der Exekutive – unabhängige Behörden bestehen sollte. Jedenfalls sieht er die Notwendigkeit einer Prüfung jedes Einzelfalles durch Justizbehörden – womit Gerichte gemeint sein dürften – und einer Begrenzung der übergebenen Daten auf den notwendigsten Umfang. Zudem sollte auch eine Verpflichtung zur Löschung der Daten implementiert werden, sobald diese keine konkrete Nützlichkeit mehr aufweisen.
Schlussendlich empfiehlt er nach Abwägung der widerstreitenden Interessen dem EuGH die seiner Ansicht nach grundrechtswidrige Richtlinie nicht sofort aufzuheben, sondern den Legislativorganen der EU noch einen vernünftigen Zeitrahmen zur Überarbeitung zu geben. Damit haben diese intern nämlich ohnehin schon begonnen.
Wie bei Vorabentscheidungsverfahren sonst auch üblich, beantwortet der EuGH in seiner erst 2014 erfolgenden Entscheidung nur an ihn gestellte Fragen der nationalen Höchstgerichte, erst diese entscheiden dann die konkreten Streitfälle – unter Bindung an die Rechtsansicht des EuGH. Wenn dieser daher die Richtlinie außer Kraft setzen sollte, fiele die Rechtsgrundlage für eine Vorratsdatenspeicherung weg. Tut er das nicht sofort, sondern setzt der Unions-Legislative eine Frist, dann bestehen zwei Möglichkeiten. Entweder es wird bis dahin eine Neufassung der Richtlinie in Kraft gesetzt, dann gilt ohnedies nur mehr diese neue Version. Falls das nicht innerhalb der Frist geschieht, dann tritt die alte Regelung außer Kraft und erst ab dann wäre die Vorratsdatenspeicherung ohne Rechtsgrundlage. Eine dritte, vermutlich nicht sehr wahrscheinliche Option wäre, dass der EuGH die Richtlinie für grundrechtskonform erachtet und sie bestehen lässt.