"Trotz des Urteils bezeichnet de Maizière die Vorratsdatenspeicherung als Instrument, dass „dringend zur Aufklärung schwerer Straftaten sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben“ benötigt werde."
Ist das so?
Theoretisch könnte man sich ja gut vorstellen, dass weitgehend anonyme, für Ermittlungsbehörden schwer zu überwachende und kontrollierende Kommunikation über Internet und Mobiltelefone die Aufklärungsquoten bei Schwerstverbrechen, einschließlich Tötungsdelikten verschlechtert hat. Eventuell hat das dann auch dazu beigetragen, dass die Verbrecher sich dadurch sicherer fühlen und immer mehr dieser schwersten Verbrechen begangen werden.
Schließlich liest und hört man ja auch in den Massenmedien immer wieder von grauenhaften Verbrechen und von mordenden Terroristen, die den Ermittlungsbehörden jahrelang durch die Lappen gehen usw. Den Schlagzeilen nach wird alles immer schlimmer. Man könnte leicht den Eindruck gewinnen, dass in Deutschland inzwischen ein echter Notstand herrscht und wir diese Einschnitte in unsere Freiheitsrechte deshalb schweren Herzens hinnehmen müssen, um das entfesselte Morden wieder halbwegs einzudämmen.
Aber sieht die Realität wirklich so finster aus? Schauen wir uns mal die offiziellen Zahlen zu Tötungsdelikten an:
http://de.wikipedia.org/wiki/Mord_(Deutschland)#Statistik
Die Zahl der begangenen und versuchten Tötungsdelikte in Deutschland ist in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen. Die Zahl der Mordopfer hat sich inzwischen mehr als halbiert. Und die Aufklärungsquoten sind von ca. 88% in den 90ern auf konstant über 95% gestiegen. Das sind hervorragende Aufklärungszahlen. Viel mehr ist auch unter optimalen Umständen nicht drin.
Und das schließt spektakuläre Mordserien und Ermittlungs-Fehlschläge wie die NSU-Morde schon mit ein.
Also ich finde diese Zahlen aus der offiziellen Kriminalitätsstatistik (also von de Maizières eigenen Leuten) ausgesprochen beruhigend. Eigentlich müssten BILD und Co. Schlagzeilen darüber machen, dass man in Deutschland niemals sicherer lebte als heute und dass die Chancen niemals schlechter standen, dass ein Mörder ungestraft davon kommt.
Und es ist auch bemerkenswert, weil dieser Zeitraum von Mitte der 90er bis heute ja genau der ist, in dem Internet und Mobilfunk sich verbreitet haben. Und über die meiste Zeit gab es dabei keine VDS in Deutschland und auch keine Heimliche Onlinedurchsuchung oder Bundestrojaner usw.
Angesichst dieses eindeutigen positiven Trends, sollte man sich eigentlich Gedanken machen, ob man nicht sogar die eine oder andere in den letzten Jahren eingeführte, grundrechtsverletzende Ermittlungsmethode wieder zurücknehmen könnte. Z.B. den "Großen Lauschangriff", die immer häufiger und sorgloser eingesetzte Rasterfahndung oder die schon erwähnte, noch recht junge Heimliche Onlinedurchsuchung usw.
Weitere fragwürde und grundrechtsverletzende Maßnahmen wie die VDS einzuführen, sollte unter diesen Umständen eigentlich gar nicht zur Diskussion stehen. Auch dann nicht, wenn Verfassungsrichter sie unter bestimmten Bedingungen für möglich halten. Die tatsächlichen Umstände machen es einfach nicht nötig und damit muss die Abwägung mit den Grundrechten eindeutig ausfallen. Zumal es bei der VDS auch nicht den leisesten Hinweis darauf gibt, dass sie überhaupt einen positiven Effekt bei der Verbrechensbekämpfung haben könnte.
Ein Beispiel, um die Absurdität der VDS zu verdeutlichen:
Man stelle sich vor, die Vorratsdatenspeicherung wäre ein neues Medikament, das gegen die Krankheit Schwerstkriminalität helfen soll. Dieses neue Medikament hat aber erwiesenermaßen schwerste Nebenwirkungen. Anerkannte Experten haben festgestellt, dass es die lebenswichtigen Organe Meinungsfreiheit und Privatsphäre schwer schädigt. Außerdem haben die Ärzte auch mit den bisherigen Behandlungsmethoden die Schwerstkriminalitätskrankheit gut im Griff. Die Zahl der Patienten sinkt ständig und die Heilungschancen werden immer besser. (Siehe oben.)
Und trotz all dem beschließt die EU-Kommission, das neue Medikament auf den Markt zu bringen. Mehr noch, man will es nicht nur nur einzelnen Personen verabreichen, bei denen man die Kranheit vermutet, sondern schreibt den Mitgliedländern vor, es in die Trinkwasserversorgung zu mischen, damit jeder Menschen in Europa es zwangsweise zu sich nimmt.
Würden wir so einen Wahnsinn zulassen?
Warum wird über sowas überhaupt ernsthaft diskutiert?