Selbst nach der Präsentation ist mir noch nicht klar, wie und warum Microsoft Geräte von 4"-80" vereinen und bedienen will. Sind einheitliche Benutzeroberflächen denn das Problem? Ich meine nicht. Eine einheitliche Windows 10 GUI wird nichts daran ändern, dass 80% aller verkauften Mobiles mit Android rennen und sich zum neuen iPhone wieder Tausende in die Schlange stellen.
Das Problem ist vielmehr, dass Desktop-PCs längst nicht mehr den Stellenwert haben wie noch vor Jahren und Microsoft in den eigentlichen Kernmarkt Mobile viel zu spät eingetreten ist. Den aber kann man nach derzeitigem Stand nicht mehr zurückerobern.
Aber zurück zu Windows. Das Besinnen auf den Desktop ist richtig und wichtig. Egal wo, ob Business oder Home User, Gamer oder Nerd, der Windows Desktop ist und war immer das Maß der Dinge, wenn es um Produktivität und Vielfalt ging. Hier zahlt sich jeder zusätzliche Entwickler aus. Weg mit dem aufgezwungenen Touch-UI, hin zu den Haupteingaben Maus und Tastatur auf großen Monitoren nebst Multitasking. Wenn man die Kernzielgruppe wieder im Sack hat, darf man gerne weiter spinnen.
Dann aber wird es schwammig. Was soll das denn heißen, wenn ein- und dasselbe Programm auf Smartphone, Tablet und Desktop laufen soll? Doch nur denselben Krampf wie vorher, wo sich Simpelapps wie Mail gegen Schwergewichte wie Outlook behaupten sollten, oder? Nach wir vor halte ich nichts davon, Dinge zu vereinheitlichen, denn am Ende zieht immer der Potentere, in diesem Falle der Desktop, den Kürzeren.
Zumal sicher scheint, dass die Vereinheitlichung gar nicht die User einbezieht, die gar kein Windows nutzen. Was ist denn mit den hunderten von Millionen Android- und iOS-Usern? Ignoriert man die?
Es kommt mir so vor als wenn Microsoft ein Zukunftskonzept aus dem Hut zaubert, dabei aber die Realität sträflich außer Acht lässt. Bei deutlich unter 5% Marktanteil bei Mobiles wird man die User nicht mit einem Konzept beeindrucken können, welches einen Gerätepark nur aus Redmond zur Pflicht macht.
Auf dem Desktop ist man der Platzhirsch, doch da draußen nutzt man Android und iOS. Daran kommt man nicht vorbei und dann braucht man ein Konzept, dass diese User mitnimmt. Das hat man offensichtlich nicht.
MS Office für iOS war ein Anfang und dazu ein vielversprechender. Es war sogar mit ein Grund, mir ein Office 365 Abo zuzulegen, weil man als einziger Anbieter in der Lage ist, alle Plattformen von Windows, OS X über iOS und Android mit einem einheitlichen Office abzudecken.
Die Techwelt wird heute nicht mehr von Software, sondern von Diensten dominiert. Längst ist der Browser das meistgenutzte Instrument und Apps mit Login bilden die großen Dienste ab. Ohne Gmail, Facebook, Twitter, Skype, Evernote, Instagram, Snapchat, WhatsApp und wie sie alle heißen, läuft doch nichts mehr. Wer das verstanden hat, erkennt auch, dass nicht einheitliche User Interfaces, sondern einheitliche Daten das Ziel sein müssen.
So will doch niemand ernsthaft Facebook auf allen Geräten mit derselben App bedienen, sondern vielmehr den Dienst Facebook auf allen Geräten nutzen. Ebenso Email. Nicht das Programm ist wichtig, sondern derselbe Datenbestand.
Apple hat diesen Trend ansatzweise erkannt. Mit Continuity verzahnt man die Geräte untereinander ohne ihnen ihre Eigenheiten zu nehmen. OS X bildet optisch zwar immer mehr iOS ab, vertraut aber weiter auf eigene Programme, die Desktopqualität und -umfang haben. Google hingegen hatte nie einen eigenen vollfunktionalen Desktop und die Vereinigung von Android und Chrome OS dürfte nur das zusammen führen, was von Anfang an zusammen gehörte.
Trotzdem bin ich gespannt auf Windows 10, denn die Rückbesinnung auf den Desktop ist der riesige Vorteil, den Microsoft ins Feld führen kann. Dazu das klassische Office gepaart mit der Vielfalt an Hard- und Software und am Ende hat man ein fast unschlagbares Paket. Ich vermute, dass die meisten Anwender die Vereinheitlichung der Software- und Gerätewelten zwischen 4" und 80" schlicht ignorieren werden, weil ihre Nutzungswelt eine ganz andere ist. Niemand wird sein Galaxy S5, sein iPad und seine PS4 abschaffen, weil in Redmond das große Harmonisieren angesagt ist.
Spätestens dann, wenn Amazon, Facebook, Samsung oder Apple die nächste Offensive starten, verblasst das Marketing aus Redmond ohnehin. Die Massen begeistern sich heute für Smartphones oder -watches, für Videostreamingdienste, für Flatrates oder Smart Home Funktionalität, für Cloudservices oder neue soziale Dienste. Nicht aber für den klassischen Desktop, der eher als notwendiges Übel nebenher läuft. Was nicht bedeutet, dass man damit kein Geld verdienen könne, aber als Innovationsbrunnen taugt er irgendwie auch nicht.