Creeed schrieb:
Gesetze dürfen eigentlich nicht eindeutig auslegbar sein sondern nur in eine gewisse Richtung weisen. Die Auslegung ist nicht Sache der Legislative sondern der Judikative, also der Gerichtsbarkeit. Das ist ein Grundprinzip der Gewaltenteilung.
Nein. Das ist in den USA so (oder in anderen Staaten mit angelsächsischem Rechtssystem). In Deutschland ist der Gesetzgeber (demokratisch gewählte Volksvertreter) gefragt, klare Grenzen zu ziehen. Es ist eigentlich nicht der Job der Richter (nicht demokratisch legitimierte Beamte), irgendwas nach eigenem Ermessen auszulegen. Die sollen nur entscheiden, ob etwas die (möglichst klare) Grenze, die vom Gesetzgeber gezogen wurde, überschreitet oder nicht.
Dass es besonders in Fragen des Urheberrechts ständig unklare Gesetze gibt, die die Richter dazu zwingen, doch in jeden neuen Fall die Grenze nach eigenen Ermessen zu definieren, hat Methode. Die so entsstehende Rechtsunsicherheit ist gewollt. Darauf basiert nicht nur die ganze Abmahnindustrie, sondern auch die Rechteverwerter und (einige) Urheber versprechen sich, dass das durch die Unsicherheit entstehende Klima der Angst Urheberrechtsverletzungen präventiv verhindert. Oder besser noch, dass die Verbraucher sich sogar Dinge, die sie eigentlich wohl dürften (z.B. Privatkopien oder Weiterverkauf gebrauchter Güter) nicht mehr trauen, weil man eben niemals sicher sein kann, wie es ausgeht, wenn man vor Gericht gezerrt wird.
Und auch die ersten Gerichtsurteile z.B. zum Leistungsschutzrecht, werden ja keine endgültige Rechtssicherheit schaffen, sondern bestenfalls eine Tendenz der Gerichte zeigen. Da wir eben nicht das US-Rechtssystem haben, gibt es auch keine Präzedenzfälle. Jedes Urteil gilt immer nur in der Sache, um die es konkret ging. Also z.B. Axel-Springer-Verlag gegen Google, Heise-Verlag gegen Facebook, Abmahnkanzlei XY gegen Peter Müller usw.
Solange der Gesetzgeber es nicht hinbekommt (oder nicht will), dass das Gesetz klar und eindeutig ist, wird die Rechtsunsicherheit bestehen bleiben und das ist, wie gesagt, gewollt. Der Knackpunkt ist, dass auch die Rechteverwerter sehr gut wissen, das man ein (stark restriktives) Urheberrecht in der Praxis nicht effektiv gegenüber hunderten Millionen Verbrauchern durchsetzen könnte. Selbst wenn man alle mutmaßlichen Urheberrechtsverletzer auf frischer Tat erwischen würde, wären die Gerichte damit vollkommen überlastet. Die Rechteverwerter hoffen deshalb auf den erwähnten Abschreckungseffekt durch ein Klima der Angst.
Dieses Klima der Angst killt nebenbei auch gleich ein gutes Stück Meinungsfreiheit ("Schere im Kopf"), aber die Rechteverwertungsindustrie kümmert das erfahrungsgemäß herzlich wenig.