Otsy schrieb:
Das abstrakte Konstrukt der Kapital- und Anlagenmärkte arbeitet nach eigenen, weitestgehend realwirtschafts- und realitätsentkoppelten Regeln. Erwartungen, Befürchtungen und Vermutungen sind hier die Triebfedern, unabhängig von tatsächlichen Umständen.
Ganz so einfach ist es nicht, und speziell nicht bei TSMC. Hier gibt es nämlich noch einen ganz essentiellen Faktor:
Geopolitik!
TSMC als "Hidden Champion" zu bezeichnen ist gewissermaßen die Untertreibung des Jahrhunderts. Wenn du 100 zufällige Leute auf der Straße ansprichst, wissen vielleicht (!) zwei oder drei, wer oder was TSMC ist. Ob die überhaupt einer den vollen Namen nennen kann, ist fraglich. Dabei handelt es sich bei der Firma um das vermutlich derzeit wichtigste Unternehmen der Welt. Die Hälfte aller Hochleistungs-Chips der Welt wird dort gefertigt. Die Wertschöpfungskette, die hinter TSMC steht, ist vermutlich 13-stellig (also
europäische Billionen). Würde TSMC plötzlich ausfallen, würde die globale Halbleiter-Industrie zusammenbrechen - denn niemand, absolut niemand kann TSMC aktuell ersetzen. Weder kurz- noch mittelfristig.
Aber leider ist eben der plötzliche Ausfall von TSMC nicht nur eine graue Theorie, sondern droht geopolitisch tatsächlich: Sollte die Volksrepublik China beschließen, seine öffentlich bekannte Doktrin durchsetzen und eine Invasion von Taiwan beginnen, steht TSMC still. Erst kürzlich hat sich der CEO sogar genötigt gefühlt zu betonen, dass TSMC nicht fremdgesteuert werden kann. Das war nochmals der klare Hinweis, dass man sich eine (wörtlich gemeinte) feindliche Übernahme durch Festland-China nicht gefallen lassen würde. Nichjt auszudenken, was passiert, sollten die Fabs tatsächlich auch
physisch/militärisch getroffen werden...
Dass sowohl die westliche, aber eben auch die chinesische Halbleiter-Industrie auf TSMC angewiesen ist, zählt zu den geopolitischen Faktoren, wieso Taiwan derzeit eben
nicht angegriffen wird. Man spricht hierbei auch vom "Silicone Dome", der Taiwan vor einer Invasion/Eingliederung schützt.
Investoren finden das - gelinde gesagt - suboptimal. Wenn man sich den Höchststand der TSMC-Aktie anguckt, merkt man auch, dass sie - unabhängig von den stets glänzenden Geschäftsszahlen - zusammen mit allen anderen Tech-Werten ab Q1 2022 deutlich Federn gelassen hat. Es geistert die Befürchtung herum, dass sich China ein Beispiel an Russlands Ukraine-Politik nehmen könnte. Zumal die Rhetorik der Regierung in Beijing keinen Zweifel dran lässt, dass man von der Ansicht, Taiwan sei Bestandteil der Volksrepublik, und müsse definitiv irgendwann eingegliedert werden, definitiv nicht abrückt. Und in der Umkehr hat sich sogar die US-Regierung von der Jahrzehnte lang praktizierten Politik der Uneindeutigkeit abgewendet und inzwischen eindeutig bekräftigt, man würde Taiwan militärisch beistehen.
TSMC steht also im Brennpunkt eines der großen geopolitischen Konflikte unserer Zeit. Klar locken 50% Umsatzrendite Investoren an, aber das wirtschaftliche Risiko ist eben
immens. Und das spiegelt natürlich sich im Aktienkurz wider. Für sehr viele (rationale) Inevstoren ist das China-Risiko in 2022 deutlich gestiegen - man sehe sich mal die Kurse anderer chinesischer Tech-Werte wie Alibaba oder JD an - und für TSMC gilt das sogar noch in erhöhtem Maße. Alle US Tech-Giganten, die direkt von TSMC abhängig sind (Apple, Nvidia, AMD, Qualcomm) korrelieren auch noch gleich mit.