Nun (weils ja schon so oft gesagt wurde) auch mein "letztes Wort" zum Minarett-Streit.
Immer wenn ich etwas aus dem "Religionskonflikt" zwischen Islam und Christentum lese oder höre, kommt mir der Gedanke, der zum ersten mal plötztlich da war, als es in DE einen "Kopftuchstreit" gab:
"Wenn es so verdammt schwer ist, die Verwendung religiöser Symboliken im öffentlichen Raum auf einer rechtsstaatlichen Basis zu verhandeln oder gar zu regeln, dann verbannt sie bitte KOMPLETT aus dem öffentlichen Raum, einfach damit das nicht mehr als Projektionsfläche für Profilneurotiker dienen kann".
Ich stelle mir das sehr extrem vor: Wenn eine Moschee kein Minarett haben darf, dann sollte der Turm der Frauenkirche auch abgerissen werden (schade drum, aber ist immer noch besser als sich um diese Phallussymbole zu streiten). Zugegeben ein bisschen böse, aber hier mal ein altes Bild dazu:
https://www.titanic-magazin.de/uploads/pics/card_286015026.gif
Was mich dabei allerdings am meisten aufregt - es wird immer nur gefragt, warum denn ein Staat eine, in seinem Staatsgebiet nicht mehrheitlich vertretene Religion genauso behandeln sollte, wie die Ortsansässige Mehrheitsreligion. Ich finde das das komplett die falsche Frage ist.
Es geht nicht darum, ob der Staat die Aufgabe hat, keine Religionsgemeinschaft zu benachteiligen (das sollte eigentlich selbstverständlich sein), sonder es geht darum, ob ein Gebilde, welches sich gerne als "Säkularstaat" bezeichnet, einer Religionsgemeinschaft ganz klar den Vorzug geben darf. Christentum ist soweit ich weis in der ganzen EU Staatsreligion - dieser Ausgangspunkt wäre für eine Gegenargumentation schön und gut, übersieht aber dabei, dass schon die Begriffe "Säkularstaat" und "Staatsreligion" absolut nicht unter einen Hut zu bringen sind. Entweder man hat einen Säkularstaat ODER eine Staatsreligion. beides gleichzeitig schafft nur eins ... Widersprüche.
Säkularstaat, das bedeutet, dass eine Religionsgemeinschaft (in Form von Würdenträgern oder Organisatonsstrukturen) sich nicht in die Staatsgeschäfte einzumischen hat UND andersrum genauso. Wird das konsequent umgesetzt, dann bedeutet das einerseits: keine staatlichen Gelder für eine Moschee - ABER es bedeutet andersrum eben genauso: kein staatliches Verbot traditioneller baulicher Elemente bei Religionshäusern egal welcher Richtung.
Wenn der Bauherr die Finanzierung allein übernimmt (das sollte der Staat auch bei der christlichen Kirche nicht zahlen) und sich an die Bauvorschriften hält (die einen Turm höchsten aus Sicherheitsgründen verbieten können, oder eben wegen Landschaftsbild und so), dann gilt auf dem Grundstück für ihn das gleiche Recht, wie für jeden anderen finanzstarken Bauherrn.
Die Entscheidung gegen den Bau von Minaretten sehe ich also wohl etwas gespalten. Auf der einen Seite ist es direkte Demokratie (find ich gut), auf der anderen Seite aber eben auch eine klare Absage dieser direkten Demokratie an die Idee des Säkularstaats (und das finde ich NICHT gut).
Wäre die Schweizer Demokratie wirklich gut, dann könnte sogar der Volkswille dieses moderne Staatsideal nicht sabotieren.
Aber als Deutscher denke ich mir da auch gleich wieder: "Wer im Glashaus sitzt ..."
Und eines sollte man sich bei der ganzen Debatte mal auf der Zunge zergehen lassen: Noch kein einziger Kirchenbau, nicht ein einziges Glockenbimmeln ist durch irgendein Volksbegehren berührt worden - Was bedeutet, die Kirche darf direkt vor meinem Fenster den ganzen Tag lang vor sich hin bimmeln, und ich habe keine rechtliche Handhabe dagegen (da es ja so tief in unserer Kultur verwurzelt ist, gilt das kirchliche Glockenläuten in DE nicht als Ruhestörung - auch nicht Sonntagmorgen um 7:30).
Eigentlich ist es nicht verwunderlich, dass der Minarettstreit hier aufgenommen wurde - gemessen an dieser Diskussion ist der momentane schweizer Volksentscheid doch eher langweilig. Dennoch: abschließend dazu: Gehts eigentlich noch? Wenn ich mir einige der moderneren Gotteshäuser in DE so anschaue, denke ich mir, da hätte ich aber lieber in jeder Stadt eine Moschee - das sind zumindest in meiner Vorstellung nur selten solche Glas-Beton Designsünden. Einige moderne Kirchen sind für mein Auge eigentlich nur beleidigend.
Zu der Einwanderungsdebatte:
Die Stichworte sind alle schon gefallen. Auf der einen Seite beklagen sich die Unternehmer beständig über Fachkräftemangel, anderseits werden aber z.B. ausländische Bildungszertifikate massiv entwertet - auch wenn es teilweise nur der gleiche Stoff in anderer Sprache war.
Und damit nicht genug, es gibt genug hochqualifizierte deutsche - aber wer stellt schon gerne einen deutschen Meister ein, wenn er für die gleiche Kohle auch einen russischen Doktor haben kann? Ich kenne z.B. eine OP-Schwester aus Brasilien, die eigentlich für ihre Auswanderung (wg. Familiengründung mit einem Deutschen) auf die guten Aufstiegschancen in ihrer Heimat verzichtet hat. Sie ist nun seit 20 Jahren in DE, die Ehe ist im Eimer, und sie hat in den 20 Jahren nicht eine einzige Stelle in ihrem eigentlichen Beruf gefunden - sie lebt davon, dass sie brasilianische Musik machen kann (die hat die Songs eben einfach im Kopf, denn es waren die Hits ihrer Kindheit und Jugend). Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Operatioonssaal in Sao Paulo sich so stark von einem in Deutschland unterscheidet, dennoch wird ihr Abschluss in DE pauschal nicht anerkannt.
Da gehts dann eigentlich nur um Lohndumping und die Nationalitäten sind dabei wirklich pupsegal, es geht darum, den Menschen (auch den Einheimischen) immer niedrigere Löhne bei gleichzeitig steigenden Preisen aufzwingen zu können.
Dagegen hilft auch ein ABSOLUTER Einwanderungsstopp nicht (da würde nur ein neuer Sündenbock gesucht werden, und es ginge weiter), denn es hat mit Ausländern nichts zu tun, das ist ganz normaler ureuropäischer Kapitalismus. Aber das muss jedes Volk wohl auch selbst rauskriegen, da machen die Schweizer keine Ausnahme.
Und genau (beim Sündenbock) da schließt sich der Kreis wieder. Die Ausländer sind der universal-Schuldige für alles (von steigenden Wohnungspreisen bis zu Blähungen nach Kohlsupppe), und der Islam ist das, was nach dem Zerfall des "Ostblocks" als neues einheitliches Feindbild für die NATO aufgebaut wurde.
Genau das ist auch der Grund, weswegen Türken (darunter wird meist viel zu viel zusammengefasst, manche von ihnen sind auch Kurden, und ganz wenige sogar Armenier), erst seit 1991 als "Problem" empfunden werden. Tatsächlich haben sich die Zuwanderungszahlen (aus der "Türkei" ) in den jahren davor schon stark erhöht - es hat sich nur eben kein Sarrazin medial drüber aufgebläht, denn die Populisten dieser Zeit waren bis ziemlich genau 1990 noch ganz extrem mit der "roten Gefahr" befasst. Die war dann (relativ plötzlich) garnicht mehr so gefährlich - und das hätte die Existenzgrundlage eines nordatlantischen Verteidigungsbündnisses (die Verteidigung gegen den gemeinsamen Feind Kommunismus) zu Nichte gemacht. Die Lösung: Ein neues (altes) Feindbild - die Türken vor Wien, die Sarazenen im heiligen Land ... oder eben Bin Laden in Afganistan und Saddam im Irak ... und die Hetzer machen weiter ... aus dieser Bemerkenswerten Zeit stammt übrigens auch das Buch "Clash of Cultures" (Kampf der Kulturen) von S. Huntington.
Die Moslems haben diese Funktion für Europa Jahrhundertelang wunderbar erfüllt - da dürfte die Wahl dieses nicht ganz so neuen Feindbildes eher leicht gefallen sein. Die paar Jahre Kommunismus waren dagegen historisch betrachtet nur ein winziges Intermezzo.
Leider fallen immer wieder viel zu viele Leute drauf rein und erkennen dabei nicht, dass es bei der ganzen Hetze nicht um ihre eigene kleine Scholle geht, sondern nur darum, dass der dickste Arsch es beim dicker werden nicht ganz so schwer hat (und da waren sich die dicksten Ärsche von Papst Urban II bis G. W. Bush über die Jahrhunderte hinweg bemekenswert einig).
Nicht die Einwanderung ist das Problem, sondern lediglich die Tatsache, dass sie seit Jahrzehnten erfolgrech für diese Panikmache instrumentalisiert wurde. Es gibt deutsche Statistiken, die zeigen, dass z.B. die NPD vermehrt in Regionen gewählt wird, in denen der Ausländeranteil UNTER 2% liegt, in Gegenden mit vielen Migranten haben die jungs hingegen verdächtig oft keine 2% der Stimmen bekommen.
Ich glaube fest daran, dass der tatsächliche Ausländeranteil in einer Region negativ mit der Empfänglichkeit der Ortsansässigen für ausländerfeindliche Propaganda korreliert - ganz einfach, weil sich die NPD-Wahlergebnisse verdächtig oft umgekehrt proportional zum Ausländeranteil der Region verhalten haben.
Der Grund: Mehmet von nebenan ist vielleicht jemand, dem man einfach niemals zutrauen würde, dass er in guter alter "Moslem-Tradition" die Brunnen der Ungläubigen vergiften könnte, aber wenn Mehmet der einzige in der Gegend ist, dann kann er eben fein als die die Regel bestätigende Ausnahme gesehen werden. Es fällt etwas schwerer, Menschen aufgrund ihrer "beliebige Eigenschaft" zu hassen, wenn man sie unabhängig davon als Mensch kennengelernt hat - diese Erfahrung habe ich jedenfalls gemacht. Mein Opa war Rassist (überzeugt in seiner Schulzeit im 3. Reich) aber seinen türkischstämmigen Mitarbeitern auf'm Bau hat er dennoch blind vertrauen können - irgendwie inkonsequent, aber es ging für ihn wohl einfach nicht anders, denn "anpacken" konnten die scheinbar allemal, und solange man irgendwie kommunizieren kann, ist die Religion, die Herkunft, Hautfarbe, das Geschlecht oder was auch immer man sich so aussuchen mag, eben tatsächlich scheißegal. Dann bestell ich meinen Kaffee eben auf englisch, egal ob in Istambul oder in Botropp - das geht zur Not sogar völlig nonverbal - auf jeden Fall muss ich mich nicht drüber aufregen, wenn ich in meiner Heimat auf "einen Kaffee bitte" eben nur ein paar Worte Chinglish zu hören bekomme.
Natürlich ist das nur meine Meinung ...