phanthom schrieb:
Das Problem hast du aber in fast allen Spielen, die eine tiefgründige Story behandeln.
Ja und nein. Es kommt immer darauf an, welchen Anspruch die Storywriter der Studios haben und an der Stelle machst du es dir zu einfach, sowie andere, die die oberflächliche Behandlung von den aufgeworfenen Themen, hier als gewollt verteidigen oder noch schlimmer als philosophische Meisterleistung hinstellen wollen.
Es gibt nämlich einen Unterschied dazwischen einfach nur oberflächlich ein Thema in den Raum zustellen und eben dem Leser/Spieler zum Nachdenken zu animieren und dass der Spieler auch seine Handlung als auch die nun aufgestellte Frage des Spieles zu reflektieren.
phanthom schrieb:
Vor allem wenn es zu dieser Story eben auch Interpretationsspielraum gibt bzw. diese zum Reflektieren anregen soll.
Egal ob man den Spieler dazu anregen möchte, etwas zu reflektieren oder ob man einen Freiraum für Interpretationen schaffen möchte, beides bedingt jedoch, dass man eine Frage nicht plump in den Raum stellt, sondern dass man entsprechenden Kontext für eben diese Frage schafft und ebenso muss man auch den Anwender dazu bringen darüber nachzudenken, in dem man ggf. selbst eine Antwort, zumindest aber einen möglichen Gedankengang anreißt.
Es reicht eben nicht einfach eine Frage zu stellen, sondern man muss mehr machen, aber das Thema ist ein anderes und auch nicht der primäre Punkt, an dem Cyberpunk scheitert.
Cyberpunk scheitert primär daran, dass es die eine Frage, die es bis zum Schluss wirklich durchzieht, sehr plump auflöst. Die Frage um "V" und "Johnny" wird eigentlich bis zum "Finale" sehr gut behandelt und es kommt ja im Spiel auch zur Sprache: Ist es eine "Übernahme" oder eine "Verschmelzung"? In einigen Dialogen, gerade später mit Johnny, stellen sich beide ja die Frage, ob sie verschmelzen und beide stellen sich der Frage: Bin ich noch Johnny oder eben V. Das Spiel liefert also durchaus entsprechende Denkansätze, doch am Ende ist die "Lösung" sehr binär und wird der philosophischen Qualität, die man bis dahin hat, nicht wirklich gerecht. Das ist aber an der Stelle mein Empfinden.
Bei allen anderen Fragen scheitert Cyberpunk aber in der Regel nicht daran, dass sie die Fragen stellen, denn im Endeffekt stellen sie die Fragen nicht mal wirklich, viel eher greifen sie ein Thema auf, führen es sogar relativ gut ein - Delemain, die Gespräche mit Alt, die Peralez, Sandra Dorsett mit ihrer Datenbank - aber jeder dieser Fäden verlauft im Sand und verschwindet dann, es kommt nicht mal zur Frage. Es ist so, als würden sie eine Einleitung schreiben und kurz bevor sie die … .
Ich hoffe, diese "Unterbrechung" veranschaulicht dir, was ich da meine. Genau das ärgert mich so an Cyberpunk. Es wird eine durchaus interessante Thematik eröffnet, man sieht als interessierter und neugieriger Spieler die Einleitung und man wartet dann auf die Frage, nur diese Frage kommt nicht und damit lässt Cyberpunk dann wieder Fallen.
Klar, es kann nun sein, dass das wirklich Absicht ist und dass CDPR hier bereits ihre großen DLCs/Addons im Blick hat, nur das ändert nichts an der aktuellen Situation.
phanthom schrieb:
Die Story, wie sie geschrieben ist, soll in großen Teilen genau so sein und ist weitestgehend abgeschlossen.
Und genau das glaube ich eben nicht, denn in Witcher 2 sowie Witcher 3 hat man auch Themen mit einer Einleitung aufgegriffen und ist dann zur Frage gegangen und hat dann den Nutzer auch durchaus sein eigenes Handeln als auch die Konsequenzen reflektieren lassen.
An vielen aufgegriffenen Themen ging Cyberpunk aber eben noch nicht mal bis zur Frage und für die Frage, die das Spiel am Ende stellt, sind diese Themen noch nicht mal wirklich von belang.
Wenn ich ehrlich sein darf: CDPR hat in Cyberpunk sehr viel Potenzial verschenkt und in meinen Augen ist man zum Ende hin sogar eher zu klassisch und nähert sich der Hauptfrage viel zu platt. Ähnlich ging es mir zum Beispiel auch damals mit Fallout 4 und der Frage um die Synth.
Statt den Sprung vom 10 Meter-Brett im Schwimmbad zu wagen, hat CDPR hier die Abkürzung über den Startblock ins Wasser gewählt. Und das ist schade, denn die Fäden sind alle da, nur sie verlaufen sich eben in Sand.
phanthom schrieb:
Das mögen viele verständlicherweise blöd finden, weil sie Antworten und klare Lösungen erwarten, ich empfinde es aber genau richtig so, wie es ist.
Und da machst du es dir zu einfach, in dem du hier anderen vorwirfst, dass sie Antworten und klare Lösungen wollen. Wie ich bereits andeutet: Man kann das ganze auch in eine ganz andere Richtung drehen, nämlich dass CDPR nicht genug Courage hatte die Fäden, die sie hatten, wirklich zusammenzuführen um dann die passenden Fragen zu stellen und auch um einen möglichen Gedankengang zu präsentieren, weil sie eben selbst nicht wussten, worauf sie nun wirklich hinaus wollten und dann lieber den bequemen Weg gewählt haben.
Wer Menschen wirklich zum Nachdenken anregen will, begleitet den Denkprozess eines anderen Menschen und versucht auch das Denken der Menschen anzuregen. Cyberpunk versteht es dabei sehr wohl genau diesen Denkprozess zumindest initial zu zünden, über viele Stellen, doch es schafft nicht diese Denkprozesse im Lauf des Spieles zusammenzuführen.
phanthom schrieb:
Denn das ist am Ende gar nicht das Ziel des Spiels... Und kann es auch gar nicht sein.
Na, da kann ich eine menge an Spielen benennen, die aber genau das schaffen: Eine Thematik aufzubauen und am Ende eine kritische Frage zu stellen, mit denen sich der Spieler befassen muss, ohne dass man als Spiel eine Antwort auf die Frage liefert.
Der Faktor ist immer, was am Endes des Spieles stehen soll. Und bei Cyberpunk kann man eben genau hier sich selbst die Frage stellen: Was möchte das Spiel eigentlich von mir? Was möchte das Spiel mir zeigen, worüber soll ich nachdenken? Und da kommt halt der Punkt: Das Spiel greift viele Themen auf, führt sie ein, aber bevor das Spiel eine Frage stellt, verliert sich das Thema. Und das Thema, dass es vertieft, wo es zur Frage kommt, bei dieser Frage liefert das Spiel eine simple Antwort: Entweder-Oder. All die Fragen, all die Interpretationen, all das Nachdenken, die das Spiel bis dahin auslöst, werden in jedem Ende auf eine binäre Lösung herunter gebrochen.
Aber - und das ist der wichtige Punkt: Eben weil wir über diese Schwächen sprechen, über das ungenutzte Potenzial, weil wir uns Gedanken machen darüber, ob es gewollt war oder nicht, ob hier die Entwickler vielleicht mehr vorhatten oder nicht, macht Cyberpunk eben zu einem guten bis sehr guten Spiel. Das Spiel hat damit nämlich durchaus auch eines erreicht: Man macht sich Gedanken darum, was es hätte sein können.