@filbersish
Puh, schwierige Frage. Nun bin ich nicht vom Fach, sondern kann mich nur fragen, was die Heerscharen von Soziologen in den letzten Jahrzehnten eigentlich gemacht haben.
1. Ausländer/Migranten in der Unterschicht
In einem ersten Schritt müssen wir allen Beteiligten (den Deutschen, den Einwanderern und ihren Nachkommen) verdeutlichen und ins Bewusstsein rücken, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist. Denn Fehler haben alle Seiten begangen.
Die Deutschen haben die zukünftige Entwicklung völlig falsch eingeschätzt, als sie die Gastarbeiter anwarben. Auch die Gastarbeiter gingen davon aus, nur vorübergehend in Deutschland zu bleiben. Unter solchen Bedingungen muss man sich um Integration gar nicht erst bemühen. Das ist etwas anderes als bei jemandem, der sich z. B. dazu entschließt, in die USA auszuwandern und dort zu bleiben. Dann lernt man erst einmal die Landessprache – oder wird dazu verdonnert, sie zu lernen usw.
Heute beklagen wir, dass damals "die falschen Ausländer" ins Land geholt wurden. Aber für den Bergbau brauchte man damals keine Akademiker, sondern Malocher. Nun ist der Bergbau Geschichte und die ehemaligen Bergleute und ihre Kinder und Enkel leben immer noch in Deutschland, wo sich die Arbeitsmarktbedingungen im Laufe der Jahrzehnte allerdings grundlegend verändert haben.
Haben wir die Menschen (Deutsche und Einwanderer) ausreichend darauf eingestimmt? Haben wir die Ghettobildung nicht eher gebilligt oder sogar für gut befunden? Viele Deutsche hatten in der Vergangenheit überhaupt kein gesteigertes Interesse daran, Ausländer aktiv zu integrieren. Entsprechend armselig fielen die Angebote aus (keine Sprachkurse für Mütter inkl. Kinderbetreuung usw.).
Wer hat uns die heutige Situation eingebrockt? Die paar Millionen Ausländer, die ins Land geholt wurden oder die 60 Millionen Deutschen in Westdeutschland, die ihre Regierungen gewählt, die Steuergelder verteilt und die Gesetze gemacht haben?
Wir müssen ein wenig wegkommen von der Überzeugung, die Ausländer seien (ausschließlich oder überwiegend) für das heutige Dilemma verantwortlich. Hier plädiere ich für weniger Schuldzuweisungen, die ohnehin nichts bringen, und für die Übernahme von Verantwortung.
Es muss auch klar sein, dass es keine kurzfristigen Allheilmittel für Missstände gibt, die bereits in der zweiten oder dritten Generation andauern.
2. Deutsche in der Unterschicht
Die deutschstämmige Bevölkerung, die kein Bein auf die Erde bekommt, hat zunächst einmal bessere Ausgangsvoraussetzungen als Migranten. Sie beherrschen die deutsche Sprache und sie werden nicht wegen ihrer Herkunft oder Hautfarbe diskriminiert. Warum versagen sie trotzdem?
Da gibt es die klassischen Problemfelder, die sich ungünstig auf die Familienmitglieder auswirken, insbesondere auf Kinder und Jugendliche. Dazu zähle ich Probleme der Eltern bzw. Probleme in der Familie (Alkohol- und Drogenkonsum, häusliche Gewalt, Spielsucht, psychische Störungen eines Elternteils oder beider Elternteile). Lange Phasen der Arbeitslosigkeit können sich negativ auf die Antriebskräfte der Familienmitglieder auswirken. Frustration oder Schulversagen können in Aggression und Gewalt münden, wobei das Schulversagen auch nicht vom Himmel fällt, sondern wiederum seine Ursachen hat. Geldmangel, der verschiedene Ursachen haben kann, verschärft die Situation zusätzlich. Oft sind die gesamten Lebensbedingungen schlecht (Wohnsituation, Ess- und Freizeitverhalten, Mediennutzung).
Wo will man da ansetzen? Man kann nicht alle Problemfamilien in schicke Wohnungen umsiedeln. Man kann den Leuten nicht verbieten, den ganzen Tag lang den Fernseher laufen zu lassen. Man kann die Eltern nicht dazu zwingen, am Morgen zusammen mit den Kindern aufzustehen und dafür zu sorgen, dass diese frühstücken, bevor sie zur Schule gehen. Man kann die Eltern nicht zwingen, darauf zu achten, dass ihre Kinder genug Schlaf bekommen, ihre Hausaufgaben machen und so weiter.
Viele Dinge gehören zum geschützten Privatbereich und ändern sich erst, wenn es bei den Menschen im Kopf „klick“ macht. Schließlich kann man auch nicht für jede Problemschulklasse fünf Sozialarbeiter abstellen. Die Erziehung findet primär in der Familie statt (oder auch nicht).
Man wird Geduld aufbringen müssen und den festen Willen, etwas an der gegenwärtigen Situation zu ändern. Das würde außerdem teuer werden, richtig teuer. Doch die Kosten des Nichtstuns können sich auch sehen lassen. Nur lassen sie sich besser verdrängen.
Wir brauchen so etwas wie Streetworker. Leute, die in der Lage sind, sich mit den Leuten zu unterhalten, entweder auf deren Sprachniveau oder in deren Muttersprache, wenn die denn kein oder kaum Deutsch sprechen. Denn es nutzt ja alles nichts, wenn man nicht verstanden wird.
Überall dort, wo die Dinge aus den Fugen geraten sind oder drohen, aus den Fugen zu geraten, muss der Staat Präsenz zeigen. Hier mangelt es z. B. an Ordnungskräften (von Polizei oder Ordnungsamt), die an brisanten Stellen Flagge zeigen und bei Bedarf durchgreifen. Hier fehlt es leider auch an sozialer Kontrolle, weil die Anwohner oft wegschauen. Das ist eine Frage der persönlichen Einstellung. Im Zweifelsfall muss man hier auf eine Änderung hinwirken. Ich erinnere mich bei dieser Gelegenheit daran, wie man es mit der Zeit geschafft hat, die Menschen dazu zu bewegen, ihren Müll nicht auf dem Bürgersteig zu entsorgen, sondern in Mülleimern. Das war ja nicht immer so.
Der Schlüssel ist natürlich erst einmal die Integration. Das fängt beim kindlichen Spracherwerb an. Wenn in den heimischen vier Wänden nicht gewährleistet ist, dass ein Kind bis zum Alter von x Jahren bestimmte Fähigkeiten erworben hat, dann muss man etwas dagegen machen. Unnötig zu erwähnen, dass auch hierfür Geld benötigt wird. Aber das ist allein eine Sache der Prioritäten. Wenn die Automobilindustrie schwächelt, wird Geld in die Hand genommen. Wenn ein Stadtteil mit 10.000 Menschen langsam aber sicher vor die Hunde geht, scheint das niemanden zu interessieren Mit dieser Einstellung werden wir keinen Blumentopf gewinnen.
Es wird so manches versucht, etwa „Fördern und Fordern“ und viele andere Dinge. Aber was hilft eine Umstellung auf z. B. Hartz IV, wenn in den kommunalen ARGEn viel zu wenig Leute beschäftigt sind, um nicht nur bei Bedarf Geld auszuzahlen, sondern auch einmal richtig zu helfen?
Das Fallmanagement geht in die richtige Richtung. Denn es geht in den seltensten Fällen nur darum, einen Anspruch auf Hartz IV zu prüfen und zu bewilligen, sondern darum, den Menschen bei ihren individuellen Problemen zu helfen. Es wird aber nicht danach gefragt, ob der Vater gewalttätig ist oder trinkt, ob die Tochter seelisch abhängig ist von ihrem völlig kaputten Lover oder danach, warum ein nicht Kind mehr zu Schule geht, sondern schwänzt und klaut.
Unser Sozialsystem greift viel zu oft erst dann, wenn ein Problem akut geworden ist. Der Bereich der Prävention kommt noch viel zu kurz. Wir brauchen nicht nur die Hilfe für das 14-jährige Mädchen, das ungewollt schwanger geworden ist, sondern auch die bei der Zielgruppe ankommende Aufklärung, damit es erst gar nicht zu solcher einer brenzligen Situation kommt.
Das gleiche Problem haben wir in den Schulen. An wen kann sich ein Lehrer wenden, wenn er merkt, dass es mit einem Schüler bergab geht? Er hat keine Anlaufstelle außer den Eltern. Und wenn die nicht mitspielen, sind ihm die Hände gebunden.