Kopfhörermessung ist eine Wissenschaft und zugleich Kunst für sich.
Grundsätzliche Anforderungen:
- Mikrofon mit bekanntem Frequenzgang: Freifeld-, Diffusfeld- oder Druckfrequenzgang (vom Messaufbau abhängig)
- Kleinmembraner (< 12 mm) mit Kugelcharakteristik - kein Großmembraner, keine Niere!
- Soundkarte mit bekanntem Frequenzgang
- ausreichend hohe SNR, sowohl akustisch als auch elektrisch (mindestens 30 dB Dynamik für Messungen des Frequenzgangs)
Simulation ohne Ohr:
Massive Platte (z.B. MDF), flache oder leicht konvexe Auflage mit Loch in der Mitte, Mikrofonkapsel luftdicht(!) eingelassen, Frontseite bündig mit der Auflagefläche (siehe "Druckfeldmikrofonie"). Die Auflagefläche ggf. mit Schaumstoff oder Moosgummi bedämpfen, um die Reflexionen an der Grenzfläche zu lindern. Das Material sollte nicht zu offenporig sein, da sonst die Abdichtung der Pads (Seal) beeinträchtigt werden kann. Der Kopfhörer sollte rundum bündig ankoppeln und mit gleichmäßigem Druck an die Platte koppeln. Am besten baut man das Teil symmetrisch wie einen Kopfhörerständer, damit man die Muschel beim Messvorgang nicht händisch fixieren muss.
Die oben beschriebene Methode wird in der internationalen Community auch "Flat Plate Measurement" genannt und simuliert das Verhalten eines Kopfhörers ... auf einer ebenen Platte.
Vorteile: Mitunter sehr gute Reproduzierbarkeit, sehr gute Abdichtung, günstig umsetzbar.
Nachteile: Keine "reale" Messumgebung mit menschlichem Ohr, keine Anregung der HRTF. Führt zu Senken im Hochtonbereich. Abdichtung (Seal) oft deutlich stärker als in der Praxis. Daher generelle Tendenz zu Überbetonung des Bassbereichs.
Simulation mit Ohr:
Ähnlich wie oben, allerdings mit Replika des Außenohrs. Mit oder ohne Gehörgang, je nach Machbarkeit. Abformungen können aus Silikon gemacht werden. Abdrücke vom Gehörgang bekommt man beim Hörgeräteakustiker. Abdrücke der Ohrmuschel sind etwas aufwändiger und mit viel Probieren verbunden. Alternativ kann man sich auch eine fertige Pinna aus Silikon besorgen. Bezahlbare Quellen dazu gebe ich gerne per PN weiter.
Die Außenohrreplika wird entweder in eine massive Platte oder einen Kunstkopf eingesetzt. Die Mikrofonkapsel koppelt auf der Hinterseite an den Eingang bzw. das Ende des Gehörgangs (je nach Modell). Auch hier ist wieder dringend auf einen rundum luftdichten Flansch zu achten (Empfehlung: E43 Silikonkleber).
Diese Methode ist in den meisten Fällen immer noch nicht mit den "Referenzsystemen" der Industrie (siehe GRAS, B&K etc.) vergleichbar. Selbst, wenn man sich einen Ohrsimulator (z.B. Ear Simulator nach IEC-Standard) dahinter baut. Das muss IMHO aber kein Abbruch sein, da auch die Referenzsysteme in der Praxis nicht mehr als grobe Annäherungen an die individuelle Anatomie sind. Wichtig ist, dass die grobe Anatomie stimmt, sodass die wichtigen Resonanzen von Kopf und Ohr abgebildet werden. Alles überhalb von 5 kHz ist sowieso Quark, so lange nicht mit einer 1:1 Kopie des eigenen Kopfes gemessen wird.
Vorteile: Realistischere Abbildung des Hochtonbereichs und bessere Vergleichbarkeit mit den "offiziellen" Systemen.
Nachteile: Deutlich aufwändiger, auch kostenintensiver.
Anstelle eines Eigenbaus kann man sich auch ein
MiniDSP EARS zulegen. Ist quasi ein auf Kopfhörer angepasster
3Dio-Klon. Kommt sogar mit Kalibrierung, die allerdings seltsamen (nicht etablierten) Standards folgt. Technisch ist das Teil grundsätzlich okay, erfüllt seinen Zweck. Die Ohren sind etwas hart, können bei dünnen Pads daher zu schlechter Abdichtung führen und aufgrund der Steifigkeit insbesondere Messungen von On Ears verfälschen. Außerdem: Ein Gehörgang wird nicht simuliert.
Die korrekte Nutzung und Interpretation der Daten erfordert nach wie vor Erfahrung. "Objektivität" kann man sich nicht kaufen.
Letztere beiden Sätze gelten für die ganze Materie. Auch ein
vermeintlich perfektes System bringt keinen Nutzen, wenn die Erwartungshaltung und Interpretation der Daten einfach falsch ist.
3125b schrieb:
Das ist mit dem ModMic V4 und ohne Pinna gemessen