Konfekt schrieb:
Mit den Ängsten stimme ich absolut zu, damit herrscht es sich leichter. Man schürt Ängste und bietet direkt oder zeitversetzt die Lösung an, am besten mit einem Schnitt der Rechte und Freiheiten. Funktioniert leider immer noch. Traurig, dass Aufklärung, Informationszeitalter, Erfahrungen und all das nicht nachhaltig wirken.
Von diesem angeblichen "Herrschen durch Angst" kannst du dich getrost lösen. Wir sind hier im Internet. Wenn du wirklich Angst um deine Wahrnehmung haben willst, dann gehst du einfach mal auf diverse Verschwörungspages und nimmst davon irgendwas ernst. Wenn du nach 2-3h noch nicht das Gefühl des Kontrollverlusts hast dann weiß ich auch nicht.
Viele von uns haben keine ernsthafte Medienkompetenz. Viele verstehen keine Rhetorik weil Rhetorik kein Unterrichtsstoff ist und vermeintliche Medienkompetenz oft genug aus "glaub nicht alles was in xyz steht" besteht.
Meiner Beobachtung nach wird in Deutschland eben nicht mit Angst geherrscht, zumindest die letzten 20 Jahre, sondern mit Beschwichtigung. Alles nicht so schlimm, alles im Griff, wir kümmern uns etc. pp. - wir sind im Corona-Sumpf gelandet, WEIL beschwichtigt wurde statt zu handeln.
Die Sirenen laufen allerdings permanent in der Opposition - wählt uns, wir machen es besser.
Das geht im kleinen auf der kommunalen Ebene schon los; wird der Straßenraum neu geschnitten damit Bus-/Straßenbahn- und Rad-Anbindung besser wird, wird sofort der Tod der Innenstädte und der Dauerstau beschworen. In Bayern gilt die 10H-Regel aus Angst vor dem Verlust des Kulturraums. In Kösching bei Ingolstadt wurde im Zuge eines Bürgerbegehrens massiv Stimmung gegen ein Holzkraftwerk gemacht: Behauptung: Man müsse alle Straßen aufreißen und die Geruchsbelästigung wäre massiv. Dass sowas nie geplant war - egal.
Dennoch: Wer in einer Katastrophensituation nicht mal ansatzweise Respekt vor der Natur hat, bei dem müssen einige Sicherungen durchgeknallt sein. Aktuell verhalten sich etliche Leute wie die Idioten im Oderbruch, die ihre Häuser nicht verlassen wollten obwohl das Wasser schon bis in den zweiten Stock stand. Unnötige Angstmache, man wolle sie ja nur enteignen.
So eine Pandemie ist immer eine Naturkatastrophe. Gerade mit SARS-CoV-2 haben wir jetzt Viren, die sich weder besonders hoch ansteckend (z.B. verglichen mit Noro-Viren) sind noch eine besonders tödliche Krankheit verbreiten. Aber COVID-19 ist nach wie vor nicht richtig behandelbar, es verbreitet sich noch in einer asymptomatischen Phase über bis zu zwei Wochen und wir haben überhaupt keine Grundimmunität dagegen (das ist das was Erkältungen harmlos macht). Es ist erst die Mixtur dieser Faktoren, die uns Probleme bereitet. Bis jetzt sind wir so weit, dass wir was gegen das Problem der Grundimmunität tun können. Die schiere Verbreitungsgeschwindigkeit ist aber ein Problem für das Gesundheitssystem und auch wer im KH auf einem freien Platz landet hat äußerst düstere Aussichten; wer überlebt trägt lebenslange Schäden davon. Das ist nur eine Sammlung von Tatsachen - meiner Meinung nach würde ich das nicht zu einer Mutprobe umdefinieren.
Falls also die CDU/CSU mit ihren Ministern für Gesundheit, Wirtschaft, Inneres und Infrastruktur versucht haben sollten, über die Pandemie ihre Macht zu sichern, dann wäre der Ausgang der Wahl ein mehr als deutlicher Hinweis darauf, dass das wohl nicht so geklappt hat. Die Union hat bei der BTW2021 die schlechtesten Ergebnisse in der Geschichte der Partei eingefahren, die CSU wäre mit Gallionsfigur Söder fast an der 5%-Hürde gescheitert.
Konfekt schrieb:
Darum mal ganz primitiv und plakativ: Wie schafft man es, etwas GEMEINSAM hinzubekommen? An einem Strang ziehen? Etwas Positives?
Wir haben hier ein ganz anderes Problem - wir haben über bestimmt 20-25 Jahre vernünftig politisch diskutiert. Ich habe hier beim Ausmisten ein Buch gefunden (Autor aus dem konservativen Spektrum), welches Mitte der 2000er bereits analysiert hat, dass Deutschland ein Problem mit der "unpolitischen" "Spaßkultur" hätte. Die älteren von uns erinnern sich, dass die FDP zu dieser Zeit mit dem Versuch des Images als "Spaßpartei" angetreten ist.
Nun ist es eben so gewesen, dass ein großer Teil der Bevölkerung nach der Wiedervereinigung einerseits keine "demokratische" Sozialisierung durchlaufen hat - da gab es nur ein für und gegen das System und das System war die Partei. Sehr viel vom "gemeinsam" kommt aus der Verständnis der Gesellschaft als Kollektiv. Andere Teile der Bevölkerung haben sich so dermaßen in den Wohlstand verabschiedet, dass eine politische Auseinandersetzung schlicht nicht mehr notwendig schien. Bis Mitte des letzten Jahrzehnts war es bei jungen Menschen völlig normal überhaupt keine politische Ausrichtung zu haben und am politischen Leben nicht teilzunehmen.
Das ganze läuft zu vier Jahren Merkel-Regierungen zusammen, davon drei "GroKos" bei denen die beiden größten Blöcke der deutschen politischen Landschaft effektiv keine Rivalität mehr eingehen konnten. In dieser Zeit wurden die Phrase der "alternativlosigkeit" so oft geschwungen, dass sie es schon wehgetan hat.
Der Demokratie in Deutschland haben die letzten 20 Jahre einfach nur massiv geschadet. Die nötige Diskussionskultur, die nötige politische Orientierung müssen wir uns jetzt erst schaffen.
Demokratie sollte nicht bedeuten, dass man über Lobbyorganisationen auf die Einheitsregierung einwirkt, die dann irgendwann mal die eigenen Wünsche umsetzt und dann gibt es "mutige" Bürger die sich "gegen das System" wenden. Nein, Demokratie bedeutet, dass man in der Diskussion, im Dialog Mehrheiten sucht und dann entweder findet oder nicht findet. Diese Entscheidungen werden dann von der Gesellschaft getragen.
Das ist der Punkt: Miteinander diskutieren, miteinander streiten, entscheiden und DANN zusammenhalten.
Konfekt schrieb:
Mag auch sein, dass es mir so vorkommt. Schau Dir Corona an und es ist jetzt mal völlig egal, ob Impfen ja oder nein. Dass sich die Menschen inzwischen deswegen fast die Köpfe einhauen kann nicht wahr sein. Ich habe da schon Dinge erlebt, die sind erschreckend. Ich habe im Umfeld Freundschaften zerbrechen gesehen, wegen Impfungen! Weil Menschen dafür/ dagegen waren. Ich habe Streit erlebt zwischen Leuten, die seit Jahren dickste Freunde waren. Ich erlebe eine schreckliche Stimmung auf der Arbeit.
Ich möchte jetzt keine Impfdiskussion aufmachen. Ich habe in meinem Bekanntenkreis Leute die sich auf der ITS kaputt schuften und bei denen die Überstunden mittlerweile locker im mittleren bis hohen dreistelligen Bereich liegen, die ihre psychische und physische Gesundheit aufs Spiel setzen. Und dann habe ich Leute die sämtlichen Verschwörungsmist für bare Münze nehmen und sich mit allen irgendwie solidarisieren die irgendwie dagegen sind. Und mittendrin stecken Leute, die verunsichert sind und dann versuchen irgendwie "stark" zu wirken.
Ich hab Mitte der 2000er mein Abi gemacht, damals musste man als Abiturient um Ausbildungsplätze kämpfen - das ganze gegeneinander hat sich so tief in die Gesellschaft gefressen, dass trotz einem Überangebot an Ausbildungs-, Schul- und Hochbildungsmöglichkeiten junge Menschen immer noch darauf gedrillt werden sich irgendwie durchzusetzen - weil es ihre Eltern genauso gemacht haben. Stichwort Ellenbogengesellschaft. Wir haben ganze Generationen an Menschen, die nicht nur (wie oben) keine politische Meinungsbildung durchlaufen haben, sondern auch keine Form von Gemeinschaftsgefühl besitzen. Da ist das "Ego" gegen "Alle" und "der Feind meines Feindes mein Freund" - also: Keine Schwäche zeigen, keine Fehler eingestehen, kein Fußbreit Platz für andere Meinungen.
Das ist dann der Grund, warum ein "zusammen" bei Technikforen einfach besser funktioniert: Man bewältigt die gleichen Probleme, tauscht sich zu den selben Themen aus. Es gibt einfach eine gewisse gemeinsame Interessenslage. Jeder hier hat aber ein eigenes Leben hinter und vor sich und eine gewisse Vorstellung, wie das zu bewältigen wäre. Hier liest jeder mal Specsheets beim Hersteller.
Und da ist halt wieder ein Unterschied: Wenn ein Kumpel mir sagt dass er vom "Mainstream" gar nichts mehr wissen will weil angeblich über x nicht berichtet wird, aber x gerade die Top-Meldung der letzten Tage war, dann fällt es mir schwer die Kritik überhaupt nachzuvollziehen. Das ist etwas wie "ich hab gehört Nvidia soll geil sein" zu sagen, auf der Basis dass die RTX 3090 irgendeinen Test gewonnen hat, sich dann eine GTX 750Ti zu kaufen und zu meckern dass die Berichterstattung shice ist weil Cyberpunk in 4K Ultra-Settings nicht mit 120fps läuft.