Ich denke, dass die Kirche in früheren Zeiten der Meinung war, dass manche Wissenschaftler möglicherweise die kirchliche Lehre ins Abseits stellen und widerlegen wollten. Das waren nach damaliger Auffassung dann aber auch Ketzer, für die man kein Verständnis hatte (das kann Dir in anderen Ländern heute noch passieren). Selbst Darwin studierte (widerwillig) Theologie, bevor er sein Fach wechselte. In seinem Wiki-Artikel ist nachzulesen, dass seine Studien zumindest in der wissenschaftlichen Welt schnell Anklang fand. Aber:
Die anglikanische Kirche äußerte sich generell ablehnend, während sich jedoch die jüngere Generation von Theologien eher mit seinen Thesen anfreunden konnte und (…) seine Theorie priesen.“
In der Wissenschaft, das brauche ich Dir nicht zu erzählen, arbeitet man mit Theorien. Diese lassen sich selten beweisen, höchstens widerlegen. Die Kirche tut sich keinen Gefallen, wenn sie sich vorschnell jeder Theorie anschließt. Ich kann mir auch vorstellen, dass Darwins Thesen zur damaligen Zeit für eingefleischte Bibelleser noch sehr weit weg waren. Doch es stimmt schon, die Kirche arbeitet in dieser Hinsicht extrem langsam, aber es steht für sie auch viel auf dem Spiel.
Ich stelle mir das laienhaft so vor: In der Bibel steht die Schöpfungsgeschichte und die Kirche hat eine Milliarde Christen im Rücken. Da geht man nicht leichtfertig hin und wirft die Bibelgeschichte um, indem man auf Darwin verweist. Die Kirche glaubt schließlich an die Bibel, kann also schlecht argumentieren, die Bibel sei in diesem Punkt nicht länger relevant, sondern nur noch Darwin. Das erfordert vielleicht eine Neuinterpretation des Bibeltextes, die sicher nicht übers Knie gebrochen wird. Warum ein solcher Prozess dann ewig lange dauert, weiß ich nicht. Ich weiß ja auch nicht, was für wichtige Bücher der Vatikan noch in seinen Bibliotheken hat, die dafür herangezogen werden müssen.
Ich weiß auch nicht, ob die Kirche die Physik-Forschung vorantreiben soll. Das machen schließlich schon andere. Die Kirche hat ihre eigenen Baustellen und damit wohl auch mehr als genug zu tun.
Die Sache mit den Klonen und der Vermehrung ist sehr speziell, glaube ich. Du siehst das vielleicht rein pragmatisch, wobei sogar die Kirche kein Problem damit hat, die Organspende zu unterstützen. Aber nach katholischer Lehre ist die Ehe ja etwas ganz Besonderes, fast göttliches. Und der Papst – vielleicht nur er und ein paar andere dort im Vatikan – ist der Meinung, dass der GV allein der Fortpflanzung dienen sollte. Zugegeben, eine sehr restriktive Haltung, mit der man sich wenig Freunde macht. Ich weiß auch nicht, aus welchen Quellen diese Ansicht gespeist wird, halte es aber für denkbar, dass diese Meinung aufgrund irgendwelcher moraltheologischer Überlegungen vertretbar ist. Und der aktuelle Papst ist ja bekanntlich ein Experte auf diesem Gebiet, noch aus seiner ehemaligen Tätigkeit im Vatikan.
Wenn man diese Haltung ernst nimmt, was die Kirchenleute nun einmal tun, dann ist z. B. das Sexualleben von Schwulen kein akzeptabler Zustand. Die Gründe dafür brauche ich gar nicht im Detail zu erläutern, sie liegen dann auf der Hand.
Unser Problem ist vielmehr, dass die säkularisierte, freiheitsliebende, aufgeklärte und sexualisierte Welt in unserem Europa einen gänzlich anderen Lebensstil hervorgebracht hat, der mit diesen „traditionellen“ Wertvorstellungen so gut wie überhaupt nicht in Einklang zu bringen ist.
Aber! Das muss nicht unbedingt ein Problem der Kirche sein, die ihrer Meinung nach auf dem richtigen Weg ist. Aus Sicht mancher Leute in der Amtskirche sind es die Leute hier im Land, die alle auf dem Holzweg sind. Deswegen müsste die Kirche aber nicht ihre Meinung ändern.
Für die Kirche, so denke ich mal, ist die Richtigkeit ihrer Positionen weitaus wichtiger als die Anzahl ihrer Anhänger. Wobei es schon das Ziel ist, möglichst viele Schäfchen einzusammeln. Die Kirche wird also denken, dass sie einfach mehr Überzeugungsarbeit leisten muss.