Ich möchte hier ein paar Zeilen loswerden, wie mich als Pkw-Abstinenzler gerade ein Mercedes wieder einen Schritt zurück ins Leben holen konnte.
Inhaltsangabe
- Kleine Vorgeschichte
- Ausstattung
- Die ersten km
- Erste Eindrücke
- Los geht es
- Die Kosten
- Pro
- Kontra
- Fazit
- weitere Impressionen
- Schlusswort
Kleine Vorgeschichte
Aufgrund mehrerer Unfälle hatte ich mich bei einer Großglockner Fahrt dann dazu entschieden, nicht mehr aktiv am Verkehr dran teilzunehmen. Einerseits hatte der damit verbundene Stress andererseits das Motto „Beenden, wenn es am schönsten ist“ zu dieser Entscheidung geführt.
Über das „schönste“ kann man sich streiten – nun gut, es ist, wie es ist.
Dieses Jahr, zu Ostern musste ich jedoch wieder mal allein fahren. Ein Wasserschaden im Bad hatte mich dazu gezwungen, ein paar Tage nicht zu Hause zu sein und um Vermieter, Handwerker etc. die Tür zu öffnen musste ich jedoch ab und zu vor Ort sein.
Trotz kleinem 3-Zylinder tat es einfach mal wieder richtig gut, unabhängig und frei zu sein.
Also reifte der Entschluss, doch mal wieder nach einem eigenen Auto zu schauen.
Da ich vom 1,0l bis 2,5l mit oder ohne Turbo kannte, war ich relativ frei in meiner Wahl. Nur Schiebedach und Automatik engten es doch stark ein.
Der Markt für Gebrauchte hat sich geändert, negativ oder positiv muss jeder für sich entscheiden. Ein up! oder Citigo für fast 11.000€ ist in meinen Augen jedoch eine starke Übertreibung. Na egal, andere Konzerne haben auch schöne Töchter im Angebot.
Durch einen Kumpel wurde ich auf Mercedes aufmerksam, was als langjähriger BMW-Fahrer doch eine Umstellung ist.
Aber gut, anschauen hat sich bei den Kilometern und dem Zustand laut Bildern gelohnt und auch vor Ort wurde ich nicht enttäuscht.
Der Wagen stand für 17 Jahre in einem hervorragenden Zustand da und weder bei der Probefahrt, wo ich nur Beifahrer war, noch auf der Bühne zeigten sich großartig Probleme.
Mein Bruder hatte die halbstündige Probefahrt absolviert und mit den Worten „Ja, läuft ganz gut, aber das Gaspedal könnte besser reagieren“ abgeschlossen – typisch Mecklenburger.
Zwei Kritikpunkte gab es: die fehlende Sitzheizung und der Mercedes V6 M272 ist gegenüber dem BMW M54 Reihensechszylinder ein Kulturbanause ohne gleichen. Wobei das Meckern auf sehr hohem Niveau ist.
Also gekauft und warten, dass er zugelassen wird.
Das Auto ist die Mercedes E-Klasse W211 mit Bj. 2007. Zusammen mit der Farbe Cubanitsilbermetallic und gewöhnlichen 16“ Felgen ist der E-280 angenehmes Understatement.
Die Ausstattung:
- Elegance
- Limousine
- Baujahr 2007 und 120.000 km
- 3,0l V6 Motor mit 231 PS, M272, Benzin
- 80l anstatt 65l Tank
- Größere Lichtmaschine
- Schiebedach
- 7G-Tronic Automatikgetriebe
- Einfaches Multifunktionslenkrad
- Radio, kein Navi
- Helle Innenausstattung Stoff
- PDC hinten nachgerüstet
Die ersten km
Gleich bei Abholung musste ich ein paar extra Kilometer abspulen, um einen Stau zu umfahren.
Hier machte sich sofort die Größe des Fahrzeugs bemerkbar, gegenüber dem Citigo ist es ein Schlachtschiff, und selbst die beiden Tourings (Kombi) E39 oder F31 von BMW sind in der Erinnerung zierlicher als diese Limousine.
Nun gut, passt schon.
Als eine der ersten Maßnahmen hatte ich zum Glück die Ganzjahresreifen tauschen lassen, zwei hatten einen gut 3 – 4 cm langen Riss in der Lauffläche und auch der Standplatten war ungemein störend.
Ein paar Kleinigkeiten, wie eine Scheibenwischwasserpumpe und eine der Düsen, kamen in den nächsten Wochen.
Auch Teile des Fahrwerks haben den jahrelangen Stillstand nicht verziehen und mussten erneuert werden. Der Wagen ist von 2018 bis 2024 nur 15.000 km gelaufen und stand viel aufgrund eines Erbschaftsstreit.
Mich hatte, nach ein paar Kilometern, doch wieder die alte Reiselust gepackt und so musste der Mercedes auf Langstrecke zeigen, was er kann.
Wobei man Langstrecke und zeigen, was er kann, sehr eng sehen muss. So wie früher, wo es an einem Tag quer durch Italien oder mal schnell nach Frankreich ging, diese Zeiten sind einfach vorbei und den Stress muss ich mir nicht mehr antun. Bei der Geschwindigkeit war ich eh schon lange Schmitzchen Schleicher, im Ausland war Rasen nicht angeraten und in Deutschland war ich beruflich zu 95% mit dem Anhänger unterwegs.
Trotz allem ist die E-Klasse eine schöne Sänfte, bei der bei 100 km/h gerade mal 2.000 U/min anliegen, was eine angenehme Geräuschkulisse erzeugt.
Keine Knarzgeräusche oder ausgeleierte Hebel, Schalter, etc. trüben den Eindruck. Auch das Schiebedach kann man bei 100 km/h getrost offenlassen. Darüber wird es jedoch schnell nervig.
Auch das Beschleunigungsvermögen hatte bei dem Alter kaum gelitten, die ersten male war er bei höheren Geschwindigkeiten noch etwas zögerlich, was sich aber im Laufe der Zeit gelegt hat.
Wie er sich bei Endgeschwindigkeit verhält, immerhin 247 km/h sind eingetragen, werde ich als Fahrer definitiv nicht mehr feststellen. Aus dem Spielzeugalter bin ich raus.
Warum ich bei der Suche trotzdem eine große Maschine bevorzugt hatte? Es sollte ursprünglich Richtung BMW E39 oder E60 gehen, die noch über laufruhige Reihenmotoren ohne die nagelnde Direkteinspritzung verfügten und die oben genannten Kleinstwagen sind einfach zu teuer.
Wie ist der Eindruck beim Einsteigen?
Man entriegelt das Auto, öffnet die schweren Türen und schwingt sich mit Schwung auf die guten Sitze. Der Blick schweift über ein fast makelloses Cockpit und lässt den Wagen starten. Denn auch wenn man den Schlüssel umdrehen muss, muss man diesen nicht krampfhaft festhalten, bis der Motor läuft.
Der Wahlhebel gleitet straff von P auf D und der Blinker rastet sauber ein.
Angenehm ruhig setzt sich der Wagen in Bewegung, wirkt nicht einmal angestrengt oder wartet japsend auf den Turbo – der Hubraum ist sofort da und beschleunigt den Wagen mühelos auf die zugelassene Geschwindigkeit.
Auch der Federungskomfort ist gut, ohne zu weich zu werden. Federn und Dämpfer sind hervorragend abgestimmt und verlangen nicht nach dem optionalen Luftfahrwerk Airmatic.
Die Automatik schaltet rasch durch die Gänge, vorbei die Zeiten einer alten 5-Gang-Wandlerautomatik wie noch im E39.
Das Schöne an dem Motor ist, dass er auch schon bei 2.000 U/min Durchzug bietet, der für die Norddeutsche Tiefebene ausreicht.
Obwohl es noch lange nicht die Topmotorisierung ist, lässt diese kaum Wünsche übrig und bietet in vielen Lagen genug Reserven über.
Vorbei die Zeiten des Firmen-Caddys, der nur Dank Turbo und Pseudo-Allrad kurzzeitig Druck erzeugt, schon wieder abflacht und das DSG zurückschalten muss, wo der Mercedes noch souverän durchzieht.
Bei Bergabfahrt bremsen die 3,0l noch entspannt, wo der E90 320d oder ein Insignia mit ebenfalls 2,0l Diesel gnadenlos versagen. Letztere beiden bin ich vor Jahren auf der Rallye-Strecke Monte Grighine auf Sardinien gefahren.
Der Motor ist dann auch der größte Kritikpunkt, an diesem Wagen. Trotz Ausgleichswelle ist er ein "ruppiger" Geselle, der im Innenraum aber weggedämpft wird.
Seine 6 Zylinder bieten nur die Ventilsteuerung Valvematic, die den Öffnungsverlauf zwar steuern, aber nicht wie bei BMWs Valvetronic die Drosselklappe überflüssig machen.
Auch bieten moderne Benzin-Turbomotoren Verbrauchswerte, die bei Lkw-Geschwindigkeit die 5,5l bis 6,5l auf 100 km ermöglichen, wo dieses Triebwerk wiederum eher bei 7,7l bis 8,2l landet.
Ein positives Serienfeature ist der Limiter, der nicht zulässt, dass man die eingestellte Geschwindigkeit überschreitet, außer man nutzt den Kickdown. Dabei wird er nicht deaktiviert, sondern nur temporär außer Kraft gesetzt.
Der Kofferraum ist so, wie ich ihn in einer großen Limo erwarte: groß, größer, 5 Bierkästen + Reisetasche. Selbst einen Rollkoffer hatte ich bei dieser Belegung noch irgendwo untergebracht.
Das Schiebedach läuft auch nach 17 Jahren einwandfrei etwas, was VW/Skoda nicht einmal bei Neuwagen garantieren kann. Während letztere bei Problemen dazu raten, das Panoramadach im Winter aufgrund des Streusalzes und im Sommer aufgrund der Hitze nicht zu öffnen*, interessiert es bei Mercedes keinen: nutze es, denn dazu ist es da.
*leider kein Scherz
Los geht es
Der Wagen bietet auch auf kurvigen und bergigen Strecken ein hervorragendes Fahrgefühl, wo der E39, trotz neuer Federn und Dämpfer, schon deutlich nach draußen gezogen hatte, juckt es den E280 an keiner Stelle.
Im Sommer war mein Ziel dann auch klar: München und sich von einem Freund verabschieden und eventuell noch die Großglockner Hochalpenstraße.
Passanten beim Picknick
In Phantersprüngchen näherte ich mich Österreich und konnte noch einmal die grandiose Aussicht in den Alpen genießen.
Ich weiß nicht, wie oft ich angehalten hatte, um einfach einen Blick schweifen zu lassen, während sich andere Autofahrer einfach nur hektisch durch die Kurven gewunden haben. Der Weg ist das Ziel, trifft hier gleich doppelt zu.
Den anschließend freien Tag in Heiligenblut habe ich mit Faulenzen und zwei Spaziergängen an mir vorbeiziehen lassen, bevor ich am nächsten Tag wieder Richtung München starten wollte.
Diesmal ging es bei Nebel zurück, der aber ein ebenso grandioses Panorama hinterlässt, wie bei Schnee oder Sonne.
Hier schon etwas weniger Nebel
Wie schaut es mit Kosten aus?
Diese sind erwartbar höher als bei einem Kleinwagen. Allein die Reifen waren mit 1.000€ kein Schnäppchen. Ja klar, im Internet sind die günstiger, aber wie heißt es so schön: Leben und Leben lassen.
Und auch die Radlager vorne, sind als Mercedes Originalteile deutlich teurer als das Gegenstück aus dem Zubehör. Die reinen Lager hatten zwar das Spiel beseitigt, boten aber nicht die Laufruhe, die man erwarten konnte, so dass ich auf Mercedes Teile zurückgriff und mit denen dann auch Ruhe habe.
Das bedeutet aber nicht, dass Drittanbieter bei anderen Ersatzteilen nicht die benötigte Qualität liefern, im Gegenteil, andere Bauteile bieten diese im gewohnten Maße.
Die Versicherung kann ich schlecht einschätzen, da mir einfach ein Jahrzehnt fehlt, in dem ich entweder kein Auto besaß oder der Wagen über Skoda/Allianz versichert war.
Kfz-Steuern sind mit 200€ trotz 3,0l Hubraum angenehm niedrig.
Der Verbrauch ist erwartungsgemäß hoch, gerade im Stadtverkehr. Doch dank ruhiger Fahrweise konnte ich diesen auf unter 9l/100km drücken. Je mehr Stadtverkehr, desto mehr explodiert er.
Pro
Als Reisemobil oder für Sonntagsausfahrten kann ich den Wagen nur empfehlen. Hier kann man aber getrost auch zum E230 mit 2,5l und 204 PS greifen.
Die Verarbeitung und die Rostvorsorge sind auf einem extrem hohen Niveau und lassen trotz des Alters nichts vermissen.
Sitzposition und der „Stress-Faktor“ beim Fahren sind erste Sahne und bieten keine negativen Punkte.
Viele Kleinigkeiten ergeben viel Sinn. Ein extra Fach für (früher) Visitenkarten oder Schlüssel findet sich neben dem Handschuhfach.
Der (nachrüstbare) Getränkehalter verschwindet komplett in der Mittelkonsole und bietet Platz für eine 0,5l Flasche und einen Kaffeebecher. Leider muss sich im ausgefahrenen Zustand der Beifahrer etwas schmaler machen.
Die schweren Türen schließen satt.
Tempomat und Geschwindigkeitslimiter sind Serienmäßig und funktionieren einwandfrei.
Kontra
Im Stadtverkehr ging nichts über den Skoda Citigo, allein wegen der Außenmaße kann der Mercedes hier nicht überzeugen. Was er aber auch nicht muss!
Das Display der Klimaautomatik lässt sich schlecht ablesen, das betrifft aber nur die Lüftungsstufen, da die Temperatur gut lesbar an den Drehreglern zu finden ist.
Und das Serienmäßige Multifunktionslenkrad wirkt wie aus einem Wagen der frühen 90er Jahre.
Dabei musste zu dieser Zeit die umklappbare Rücksitzbank als Extra geordert werden, während Nissan diese schon in den 90ern Jahren für den Primera Serienmäßig anbot, ein Unding.
Ich würde mir auch einen Halter für den Regenschirm wünschen, der beim E39 im Beifahrerfußraum nachgerüstet werden konnte, das vorhandene Netz nutze ich für einen 12V->230V Inverter.
Fazit
Der Wagen war bei Erscheinen sicherlich ein Automobiler Traum, der nur wenig von seinem Glanz verloren hat.
Selbst 22 Jahre nach Vorstellung wirkt er nicht altbacken und setzt einen guten Gegenpart gegen heutige Touchscreens und Displays, die das Armaturenbrett überfrachten.
Alles ist da, wo man es erwartet, eine Umgewöhnung ist nur beim Tempomat erforderlich, der nicht im Blinkerhebel, sondern in einem extra Hebel, zusammen mit dem Geschwindigkeitslimiter steckt.
Der Wagen ist der perfekte Reisebegleiter, sobald es auf Langstrecke geht. Selten hat mich ein Pkw so schnell überzeugt, wie dieser Wagen.
weitere Impressionen
Jeder hat so seine Werbegeschenke
Die PDC Anzeige
Der Verbandkasten passt leider nicht unter den Sitz, wie eigentlich vorgesehen
Wo bei BMW das Bordwerkzeug sitzt, hat Mercedes nur das Warndreieck untergebracht
Für ein Ersatzrad ist kein Platz mehr
Der Mercedes eigene Kantenschutz
------
Schlusswort
Ein Wort zum Schluss, mit einem sehr schiefen Blick nach München und Berlin: Gesundheitlich bin ich angeschlagen und lange Touren, wie früher sind einfach nicht mehr möglich. Dies muss ich auch nicht. Entweder ich fahre erst gar nicht oder ich lege Zwischenstationen in Hotels ein.
Mir liegt das Fahren im Blut und es war
So wurde z.B. mein Ur-Urgroßvater durch seinen Sanitätswagen bei einem Gasangriff gerettet, weil er auf dessen Kotflügel gesunken war und somit, im Gegensatz zu seinen Kameraden, diesen überleben konnte.
Mit der Rückkehr zum Autofahren eröffnete sich wieder diese Welt „da draußen“, doch mit dem Einschnitt, dass ich nach einer längeren Fahrt auch mal einen Tag Ruhe und nach einem Urlaub von zwei Wochen drei Wochen Erholung brauche, muss ich auch jetzt noch leben.
Und als traumatisierter Mensch schwingt auch immer die Angst mit, das wieder etwas passiert.
Wo Licht ist, ist auch Schatten – das muss ich weiterhin akzeptieren und tue dies auch gerne, weil es mir auf der anderen Seite auch wieder Freiheit und Unabhängigkeit bietet.
Dies ist auch kein Patentrezept, was Traumapatienten helfen kann, denn ohne die vielen kleinen Schritte in Kliniken, sowie unbezahlbarer Hilfe hier aus dem Forum, von Freunden und der Familie wäre dies nie möglich gewesen - vom Himmel fällt leider nichts.
Und natürlich sollte man tunlichst vermeiden, unter Medikamenteneinfluss Auto zu fahren, das sind zwei Dinge, die sich nie vertragen werden, sobald es um Beruhigungsmittel geht.
Hermann, der Cherusker bei Bielefeld*
*ja, die Stadt soll es tatsächlich geben