Die hier aufgestellte Problematik ist sehr tiefgehend und teilweise auch recht kontrovers.
Es gibt Leute, die sagen, dass wir keine Kirchen brauchen, und andere behaupten das Gegenteil. Jede Gegenposition muss zunächst einmal versuchen sich in den jeweils anderen hineinzuversetzen, um zu einer weniger radikalen und sachlichen Einschätzung zu kommen.
Ich spreche zunächst einmal nur von Kirche als Institution für sich:
Welche Aufgaben übernimmt die katholische sowie die evangelische Kirche in der Bundesrepublik?
Dies alleine auf Seelenheil zu beschränken ist eine nicht haltbare Verallgemeinerung. Zunächst lässt sich für viele Menschen der Begriff Seelenheil mit dem Begriff Seelsorge im psychologischen Sinn ergänzen. Die Kirche oder besser eine Kirche inkl. Belegschaft ist u.A. auch dafür da vielen Leuten Antworten auf Fragen bezüglich Verhaltensweisen und Zwischenmenschlichkeiten zu geben. Auch die Bundesrepublik baut auf christlichen Grundsätzen auf und die Kirche dient oder diente primär der Erhaltung dieser Grundsätze.
Desweiteren verkauft bzw. bedient die Kirche (genauso wie eine Moschee und Synagoge) gewisse menschliche Urinstinkte, so zum Beispiel den Herdentrieb/ "Wir"-Gefühl. Sicherlich hat sich dieser Aspekt mit der Zeit auch ein wenig gewandelt - gerade in Anbetracht der Neuzeit. Man geht inzwischen nicht zwangsläufig von "Wir alle glauben" aus, pauschal geht es darum behaupten zu können "Ich bin nicht allein." bzw. "Ich bin ein Teil von etwas (großem)." (Wer jetzt an seine Firma denkt, dem sei gesagt, dass das wieder etwas anderes ist.)
Nichtsdestoweniger engagiert sich die Kirche im sozialen Bereich. Man denke an Kinderkrippen, Jugendzentren/ -einrichtungen, Krankenfahrdienste, Krankenpflege, Altenpflege u. div.;
Die Kirche ist in manchen Bereichen sogar so stark vertreten, dass sie auf Kommunalebene sogar ein nicht weg zu denkender Teil der Infrastruktur sind. Deswegen ist es auch zweifelhaft anzunehmen, dass Kirche nur ein Gebäude sei, welches gewisse Menschengruppen regelmäßig aufsuchen um sich dort bezirzen zu lassen. Kirche ist eine Institution - und zwar eine gewaltige, gerade in der Bundesrepublik.
Ich will mir nicht ausmalen auf welche strukturellen Probleme Deutschland stoßen, wenn es eine Kirche mittelfristig nicht mehr geben würde.
Wenn es um Glauben geht, scheiden sich ja bekanntlich seit Anbeginn der Zeit die Geister. Glauben ist an sich eine ziemlich komplizierte (und für mich oft ebenso widersprüchliche) Sache. Glauben heißt nicht wissen, (weswegen ich auch Atheist bin). Aber Glauben kann für viele Menschen Vertrauen heißen. Nicht nur der christliche Glauben nimmt den Leuten [heute(!!!)] ihre Angst, und zwar auch die Angst vor der ultimativen Veränderung: Dem Tod. Das macht gläubige Christen allerdings nicht leichtsinnig, denn allein ihr Gott entscheidet über Leben und Tod. Selbstverletzung, das Töten anderer oder die Selbsttötung bedeuten die Ausgrenzung aus dem Paradies. Dies ist bei so gut wie allen Religionen der Fall, also der Respekt vor dem Leben und dessen "Unantastbarkeit".
[Wer jetzt an den islamischen "Heiligen Krieg" denkt, dem sei gesagt, dass dies eine (Fehl-)Interpretation des Koran von einer winzigen islamisch-fundamentalistischen Minderheit ist. Der Islam ist in seinen Grundfesten einer der friedlichsten Religionen überhaupt. - Man denke an die letzten 2000 Jahre und vergleiche die (Schand-)Taten der einzelnen Religionen miteinander]
Summa Sumarum möchte ich zusammenfassen:
Ja, die Kirche hat ihre Daseinsberechtigung und ist in vielerlei Hinsicht langfristig nicht ersetzbar. Hinter Kirche steckt nicht nur das Produkt Glauben. Ob Glauben nun richtig ist oder falsch, muss jeder mit sich selbst ausmachen und nichtsdestoweniger sollte jeder den Anspruch eines anderen an (irgend)einen Glauben respektieren. Glauben kann nämlich Grundbedürfnis sein, wie es für einen anderen das Computerspiel ist. Aber auch hier gilt meiner Meinung nach, dass Extremismus, in etwa die Respektlosigkeit gegenüber anderen Glaubensrichtungen sowie das Ausblenden rationaler (Gegen-)Argumente und Ignoranz im Allegemeinen immer der verkehrte Weg ist.
Abschließend möchte ich ausgerechnet ein Zitat Buddhas bringen:
"Spannst du eine Saite zu stark, wird sie reissen. Spannst du sie zu schwach, kannst du nicht auf Ihr spielen."