AW: Wie gehts Deutschland ?
Seit Kriegsende sind nun immerhin schon gut 60 Jahre vergangen. Es wäre schade, wenn sich seither nichts verbessert hätte. Wenn Du mal nach Bonn kommst, solltest Du einen Blick in das Haus der Geschichte werfen (das geht übrigens auch virtuell). Dort sind viele Bausteine der Nachkriegsentwicklung anschaulich und interessant dokumentiert. Auch die DVD-Dokumentation „Fall Deutschland“ (Spiegel) bringt die Unterschiede zwischen den Jahrzehnten optisch gut rüber.
Ich sehe das so: In den 60er-Jahren hatte Deutschland erstmals wieder so etwas wie rosige Zeiten. Die wirtschaftlichen Wachstumsraten waren sehr hoch, Arbeitskräfte wurden händeringend gesucht. Die Arbeitnehmer wurden teilweise in Bussen von Zuhause abgeholt und zu (Sonder-)Schichten in die Werke gefahren. Das war auch die Zeit der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte. Den ersten Dämpfer gab es dann bereits in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre mit der Bergbaukrise, auf die der Staat 1967 mit dem sog. Stabilitätsgesetz reagierte. In den 70er-Jahren legte die deutsche Wirtschaft weiter zu, obwohl die Ölkrise 1973 ebenfalls für einen empfindlichen Rückschlag sorgte. Die 70er-Jahre waren aber auch turbulent (Brokdorf, RAF).
Die beste Zeit hatten die Deutschen wahrscheinlich Anfang der 80er-Jahren, trotz des Streits um den NATO-Doppelbeschluss. Mitte der 80er-Jahre erreichte die Arbeitslosenquote in Westdeutschland erstmals die 2-Millionen-Grenze. Das war das erste Anzeichen für den langsamen Abstieg, der sich mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Maueröffnung als Globalisierung zu erkennen gab. Die Deutschen waren darauf nicht gut genug vorbereitet und die Politik saß die Probleme einfach aus, statt wie andere Staaten zu reagieren. Deutschland steckte im Reformstau.
Neue Sorgen kamen (aus westdeutscher Sicht) hinzu, denn Ostdeutschland erwies sich als riesige und überaus kostspielige Herausforderung. Dort wurde viel Geld verbuddelt (neue Straßen, neue Unis usw.). Nur an die Schaffung langfristiger Arbeitsplätze dachte niemand so richtig. Und mit der Zeit wurde auch klar, dass ein nicht geringer Teil des Wohlstands der letzten Jahrzehnte auf Pump finanziert wurde, zumal die Konjunkturprogramme oft verpufften und die Ausgaben nicht wieder hereingeholt wurden, als es wirtschaftlich wieder bergauf ging. Kein Wunder, denn die Konjunkturphasen schwächten sich immer mehr ab und auf eine Rezession folgte kein gleichwertig hoher Aufschwung.
Ich kann viele Dinge aufzählen, die heute nicht unbedingt besser sind als vor 20 Jahren: da wäre der staatliche Schuldenberg, die tiefgreifende demografische Veränderung, die langsam verrottende Infrastruktur, die ungelösten Probleme bei der Integration von Zuwanderern, der extremistische Terror, das Ozonloch, die Umweltverschmutzung, die immer noch viel zu hohe Arbeitslosigkeit im Land.
Trotzdem möchte ich nicht in der Vergangenheit leben: Schließlich haben wir heute alle einen bezahlbaren Mobilfunk und das schnelle Internet. Die Autos sind besser als früher und wir können uns leistungsfähige Computer für Zuhause leisten. Das Fliegen ist günstig wie nie und die Demokratie funktioniert -abgesehen von einigen Horrorgeschichten (
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,496720,00.html) - auch noch recht gut.
Und allen Unkenrufen zum Trotz profitiert Deutschland weiterhin von einigen exportstarken Branchen, die Geld in unsere Kassen spülen (wovon wir dann wieder ins Ausland in Urlaub fahren können). Wer nicht so recht glauben kann, dass es uns heute besser geht als früher, sollte sich ein paar TV-Folgen mit Alfred Tetzlaff (Ekel Alfred) ansehen. Da erkennt man gut den Muff der 70er-Jahre, den die Mittvierziger hier im Forum noch bewusst erlebt haben und den die Jüngeren vielleicht nur noch von ihren Großeltern kennen.