"Ich halte es für unsolidarisch, dass andere für die eigenen freien Entscheidungen per se aufkommen sollen. Solidarität bedeutet, dass ALLE auf die anderen Rücksicht nehmen und nicht nur einige auf andere, die selber machen, wozu sie grad Lust haben."
Ich denke mal, dass das hier, zumindest zwischen uns beiden, der eigentliche Knackpunkt ist, der sich durch die ganzen vergangen Dispute schon durchgezogen hat. Das ist schlicht ein wesentlich anderes Verständniss von Welt an sich und von der Art und Weise sich zur Welt zu verhalten.
Ich würde ein Verhalten erst dann solidarisch nennen, wenn jemand durch seine weshalb auch immer privilegierte Stellung (und im Kapitalismus gibt es nun mal solche und solche Stellungen, wodurch zunächst auch immer hervorgerufen, das sei mal dahingestellt) auf die Rücksicht nimmt, die, ob ihrer Lage, nicht in der Position sich befinden, dieselbe Art von Rücksicht auszuüben. Das ist bei mir eine Grundeinstellung scheinbar, die bedingt ist durch meine Sozialisation und der Einwirkung dieses Systems auf mein Denken und Tun.
Mit dem Spruch: "Wie ich dir, so auch du mir bitteschön und wenn du das nicht kannst, dann geh doch einfach vor die Hunde", kommt man in einer Gesellschaft, die per Struktur schon ungleich organisiert ist, nicht weiter.
Weiterhin scheint mir, dass wir beide auch einen vollkommen verschiedenen Begriff von "freier Entscheidung" haben. Es ist eine Sache, ob der eine, der gut situiert ist, von "freier Entscheidung" redet und sich zu diesem oder jenem Handeln entschließen kann, und es ist eine ganz andere Sache, an jemanden, der durch welche Zufälle auch immer in irgendeine Lage gekommen ist, dann mit demselben Maßstab der "freien Entscheidung" ranzugehen. Irgendwie machst du es dir, nach meiner Ansicht, viel zu einfach. Ich mache es mir, nach deiner Ansicht wohl, im Gegensatz, zu schwer. Das mag alles sein, aber das sind, glaube ich, die wesentlichen Unterschiede in der Herangehensweise bei uns beiden.

Berichtige mich wenn ich mich irren sollte.
Edit:
Was mir gerade auch noch auffällt: Solidarität als Begriff setzt schon eine Ungleichheit voraus, damit das Wort überhaupt Sinn ergibt. Es kann also, schon mal rein logisch, nicht so sein, wie du es behauptest, dass nämlich alle gleichermaßen auf alle Rücksicht nehmen sollen und dass das Solidarität zu nennen sei. Denn: Wie soll das gehen, aus einer Ungleichheitsstellung heraus? Die Bedingungen der Rücksichtnahme sind von der Begriffslogik her schon mal total unterschiedlich.
Das, was du schreibst, mit der gegenseitigen Rücksichtnahme, wäre erst verwirklicht wenn alle dieselben Bedingungen hätten, um diese Rücksicht gleichermaßen ausüben zu können. Das ist de facto aber nicht gegeben. Wie legitimierst du also deine Forderung, dass auch die, die schlechter gestellt sind und denen es, wodurch auch immer, nicht so gut geht, denselben Begriff von Rücksichtnahme haben sollen?