Kategorie Verbraucherschutz
13.04.2012 19:02 Laudator: Frans Valenta
Der Big Brother Award 2011 in der Kategorie „Verbraucherschutz“ geht an die Firma
Blizzard Entertainment, eine Abteilung der Firma Activision Blizzard,
die aus einer spielerischen Freizeitbeschäftigung am Computer eine Schlacht mit einem siebenköpfigen Drachen um die Privatsphäre gemacht hat. Ein erster Sieg ging an die Online-Rollenspielerinnen und -spieler, aber der Drache ist nur leicht verwundet und rüstet nach.
Wer sich mit Sagengestalten und Fantasy-Literatur beschäftigt hat, weiß: Drachen, vor allem mehrköpfige Drachen, werden oft als ein Sinnbild für „Das Böse“ benutzt. So wie Herakles in der griechischen Mythologie als zweite von insgesamt 12 Aufgaben die Hydra besiegen musste, bekommen auch Online-Spieler die Macht dieser Drachen zu spüren. Und das nicht nur im Rahmen der zu lösenden, sogenannten „Quests“.
Es gibt einen Drachen, der die Spieler ständig begleitet, ohne dass ihnen seine Gegenwart bewusst wird, weil er nicht sichtbar ist. Er versteckt sich nämlich in den Nutzungsbedingungen, erfolgreich getarnt in seitenlangen Texten, die erfahrungsgemäß einfach weggeklickt werden, damit man endlich ins Spiel kommen kann.
Deswegen möchten wir Ihnen einmal zeigen, wie so ein Drache aussieht und welche Bedeutung er für die Spieler hat. Eine Hydra besitzt zum Beispiel neun Köpfe, acht sterbliche und einen unsterblichen. Wenn man einen Kopf abschlägt, wachsen gleich zwei neue Köpfe nach. Der Drache bei Blizzard Entertainment und anderen Online-Rollenspiel-Anbietern, wie zum Beispiel vom zweiten Marktführer Electronic Arts, hat da ganz ähnliche Eigenschaften.
Es war einmal eine Zeit, um das Jahr 2004/2005 herum, als Online-Rollenspieler sich einen coolen Phantasie-Namen ausdachten und ein verwunschenes Passwort, damit sich die Tore zu den Dungeons der virtuellen Welten für sie öffneten. Das reichte dem heute prämierten Blizzard-Drachen im Jahre 2009 nicht mehr: Er wollte alle Spieler in seinem gleich für mehrere Spielsysteme einheitlich gültigen Account-System erfassen. Seit diesem Zeitpunkt sind die Spieler gezwungen, sich mit einer existierenden E-Mail-Adresse anzumelden. Andere Spielsysteme folgten diesem Beispiel. Die Waffe des Drachen für diesen Schlag gegen die Privatsphäre war der erste seiner sieben Köpfe: Die Änderung der Nutzungsbedingungen.
Die Nutzungsbedingungen
sind quasi das unsterbliche „Oberhaupt“ der Spiele. Sie zwingen den Nutzer eines Spieles, alle vorgegebenen Bedingungen ausnahmslos zu akzeptieren. Ohne einen Klick auf den „Accept“-Button erhalten sie keinen Zugang zur so genannten „World of Warcraft“ und andere virtuelle Spielwelten. Damit verzichten die Spieler auf „alle Persönlichkeitsrechte, die Sie ggf. in Bezug auf Nutzerinhalte haben“, so steht es wörtlich in Blizzards Bedingungen, und räumen dem Spielehersteller sehr weit gehende Eingriffe in ihre Privatsphäre ein.
Zum Beispiel muss jeder Nutzer einem permanenten
Arbeitsspeicherscanning
während der Laufzeit des Spiels durch die herstellereigene Software (bei Blizzard heißt sie „Warden“, bei Electronic Arts „Origin“) zustimmen. Hierbei wird auch die gesamte Prozessor-Aktivität erfasst. Entwickelt wurden diese Programme, weil viele Spieler mit so genannten „Bot“-Programmen über Nacht Gold gesammelt oder ihre Spielstärke erhöht haben. Das hat einen Großteil der Spieler verärgert, und die Hersteller wurden aufgefordert, zu reagieren. Mit dem Arbeitsspeicherscan sollen diese Schadprogramme nun aufgespürt und Schummeleien beim Spiel verhindert werden. Was mit den dabei gesammelten – auch spielfremden – Informationen beim Hersteller passiert, ist völlig unklar. Das veranlasste die Electronic Frontier Foundation und andere Bürgerrechtsgruppen, diese Technologie als „Spyware“ einzustufen.
Der nächste Drachenkopf mit der Lizenz zum Spionieren ist die Erlaubnis zur
Chataufzeichnung.
Das betrifft die gesamte in kleine Chat-Fenster eingetippte Textkommunikation im Spiel. Immerhin: Bei Blizzard zumindest werden Audiochats nicht gespeichert, da die automatisierte Auswertung wegen der zahlreichen Dialekte technisch zu aufwändig wäre. Zumindest im Augenblick noch.
Sehr ergiebig für die Schnüffeleien unseres Daten-Drachen ist dagegen die
Spielverlaufsprotokollierung.
Dabei werden alle Handlungen des Spielers chronologisch erfasst. Damit man aber nicht so direkt merkt, dass hier eine Vorratsdatenspeicherung mit Anlage von Bewegungsprofilen stattfindet, hat man die
Erfolgsstatistik
eingeführt. Lobende Einträge gibt es zum Beispiel für Kämpfe, für „Spieler gegen Spieler“-Aktionen, für das Absolvieren von „Dungeons & Schlachtzügen“, für von der Spielfigur erlernte Berufe, für den erworbenen Ruf der Spielfigur und die Teilnahme an so genannten „Weltevents“. Nicht nur Spieler können die eigenen Ergebnisse betrachten, im Prinzip kann jeder, der den Spielewelt- und Charakternamen kennt, über das sogenannte „Arsenal“ Informationen im Internet abrufen. Dort kann dann ermittelt werden, wer wann, wie lange und wie oft gespielt hat.
An Hand der über eine längere Zeit beobachteten Spielweise lassen sich für jeden Spieler
Persönlichkeitsprofile
ableiten. Im 2005 eingereichten und 2007 veröffentlichten US Patent 20070072676 – eingetragen auf einen wissenschaftlichen Mitarbeiter von Google – wird detailliert beschrieben, wie die aufgezeichneten Spieleigenschaften, die im Chat verbrachte Zeit, das Verhalten beim Tauschhandel, die Erforschung von Gebieten, die Entscheidung bei Konfliktsiutationen, eine ruhige oder aggressive Spielweise und die Risikobereitschaft eines Spielers für gezielte Werbung ausgewertet werden können.
Psychologen können daraus durchaus ablesen, wer eine militärische Laufbahn einschlagen könnte, wer in der Bankbonität herabgestuft werden sollte, wer über Führungsqualitäten verfügt, wer wegen seines rüpelhaften Verhaltens gemieden werden sollte, wer potenziell spielsüchtig oder wahrscheinlich arbeitslos ist. Einzelne Spielaufgaben wirken, als wären sie speziell für das Casting von Rekruten in Spezialeinheiten vorgesehen. Hier müssen die Spieler zum Beispiel gezielt Zivilisten töten oder Geständnisse per Elektroschock-Folter erzwingen. Solche Aufgaben erinnern stark an das Milgram-Experiment von 1961. Hierbei wurde die Bereitschaft durchschnittlicher Menschen getestet, autoritären Anweisungen auch dann Folge zu leisten, wenn sie in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen.
Das Feldversuchslabor unseres „Drachenschöpfers“ Blizzard Entertainment zeichnet alles auf. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich Organisationen auszudenken, die an solchen Spieler-Profilen großes Interesse haben dürften.
„So lange ich mit meinem Avatar anonym unterwegs bin, macht mir das alles nichts aus“ mag mancher Spieler gedacht haben – bis die
Freundeslisten
eingeführt werden sollten. Mit dem „Real ID“ genannten Freundschaftsystem wären die Nutzerinnen und Nutzer von Diskussionsforen gezwungen gewesen, ihren echten Namen öffentlich anzugeben, anstatt mit einem Pseudonym spielen zu können. Hintergrund auch hier: Die Spieler forderten, dass der Hersteller gegen pöbelnde Mitspieler vorging. Blizzards Antwort: „Dann personalisieren wir unser Angebot, und wo wir gerade dabei sind, beziehen wir doch auch gleich die Facebook-Accounts und dortigen Freundeslisten mit ein.“ Das Unternehmen teilte mit, damit werde „ein verbesserter sozialer Aspekt in der Spielerfahrung“ ermöglicht. Immerhin ist die Funktion optional: Die Spieler müssen den Zugriff auf die Facebook-Freundesliste aus dem Blizzard-Spiel „Starcraft II“ heraus aktiv erlauben.
Ein Firmenmitbegründer lobte das Vorhaben mit folgenden Worten: „Wenn der für Onlineunterhaltungen typische Schleier der Anonymität gelüftet ist, wird dies zu einer besseren Umgebung in den Foren führen, konstruktive Unterhaltungen fördern und die Community auf eine Art und Weise zusammenbringen, wie sie bisher nicht verbunden war.“ Den Spielern gefiel es allerdings gar nicht, plötzlich womöglich von Arbeitgebern oder Nachbarn als regelmäßige Online-Spieler identifiziert werden zu können. Innerhalb kürzester Zeit sammelten sich allein in den deutschsprachigen Foren über 12.000 Beschwerdebeiträge. Ein „Shitstorm“ brach über den Drachen, über Blizzard und sein „Battlenet“ herein.
In den USA wollte daraufhin der Community-Manager mit gutem Beispiel vorangehen und veröffentlichte unbekümmert seinen Klarnamen. Das hatte Folgen: Rasend schnell verbreiteten sich Adresse, Telefonnummer, Alter, Namen und Alter der Familienmitglieder, persönliche Vorlieben und weitere Details in den Internetforen. Nach zwei Tagen kam die Kapitulation. Man erklärte, „dass es nicht nötig sein wird, reale Namen für das Verfassen von Beiträgen in den offiziellen Foren zu nutzen.“ Die Spieler mit ihrem in den letzten Jahren immer mehr gewachsenen Wunsch nach Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte und ihrer Daten haben hier immerhin einen Teilsieg errungen.
Blizzard erhielt im Jahr 2005 bereits den österreichischen BigBrotherAward in der Kategorie „Kommunikation und Marketing“ für das Ausspionieren von Arbeitsspeichern und Rechnerdaten.
Wir verleihen den BigBrotherAward heute für das ganze Zusammenspiel verschiedener Komponenten unter dem Stichwort Real ID. Wenn sich die Spieler heute mit der gleichen E-Mail-Adresse z.B. in „World of Warcraft“ und „Starcraft II“ einloggen, sind sie damit auf Blizzards Battle-Net-Server und können sehen, ob ihre Freunde bei den anderen Blizzard-Spielen online sind. Und sie werden natürlich auch gesehen. Durch Real ID müssen die Spieler sich sehr gut informieren,mit mehreren Mailadressen arbeiten und ihre Spiele penibel voneinander trennen, wenn sie keinen Charakter-Fingerabdruck im Netz hinterlassen, sondern einfach nur ein bisschen in bunten, spielerischen Welten abschalten wollen.
Mit der gescheiterten Einführung von Klarnamen über die Real ID hat der Drache zwar einen Kopf verloren, aber welche zwei werden bald nachwachsen? Denn nicht Einsicht und Spielerkomfort waren der Grund für diesen Teil-Rückzug, sondern massive Proteste und ein blauäugiger Marketing-Fehler. Mit ausgiebigen Protokollen von Spieleraktionen und Verhaltensmustern ebnen Blizzard und andere Online-Spieleanbieter den Weg für personenbezogene In-Game-Werbung und Charakterprofile, die mit einer unbemerkt eingeführten Änderung der Nutzungsbedingungen problemlos Dritten zugänglich gemacht werden könnten.
Damit uns keiner falsch versteht: Wir halten Online-Spiele nicht für ein generelles Übel. Gerade die Firma Blizzard hat mehrere sehr kreative Spiele im Programm. Wir wünschen uns durch die Verleihung der BigBrotherAwards und die damit verbundene Publizität, dass Blizzard seine Privatsphäre-Einstellungen überdenkt und die Spieler sich die Mühe machen, die Nutzungsbedingungen wirklich durchzulesen. Wir hoffen, dass von unserem Preis eine Signalwirkung für die ganze Branche zum Vorteil der Verbraucher ausgeht.
In diesem Sinne:
Herzlichen Glückwunsch, Blizzard Entertainment, zum BigBrotherAward 2012.